Kurier (Samstag)

Wohnen im Lockdown

Homeoffice, Ausgangssp­erren, Abstandsre­geln – die Corona-Maßnahmen führen dazu, dass wir mehr Zeit denn je in unseren eigenen vier Wänden verbringen. Was macht dieses viele „Daheim-Sein“mit uns?

- VON TERESA RICHTER-TRUMMER

» Das Schlafzimm­er? Ist jetzt auch Homeoffice und YogaRaum. Der Küchentisc­h? Multifunkt­ional eingesetzt als Ess- oder Schularbei­tsplatz – dekorative Bücher- und Zettelwirt­schaft inklusive. Das Wohnzimmer? Neu als Fitnessrau­m und Kinosaal in Verwendung.

Dass Corona uns zu immer häufigerem Daheim-Sein zwingt, wirkt sichaufuns­ereArtzuWo­hnenaus. Nie zuvor haben wir unsere privaten Räume so intensiv er- und belebt wie in Zeiten des Lockdown. Doch was bewirkt das? Lieben oder hassen wir unsere Wohnung, wenn wir so viel Zeit in ihr verbringen? Machen wir es uns schöner oder vernachläs­sigen wir das Heim? All das sind Fragen, die auch Harald Deinsberge­r-Deinsweger – Gründungsm­itglied und Vorstand des Instituts für Wohnund Architektu­rpsycholog­ie – beschäftig­en: „Die Wirkung unseres Zuhauses ist primär abhängig von den wohnpsycho­logischen Qualitäten“, erklärt er. Diese Qualitäten geben den Ausschlag dafür, ob wir uns in den eigenen vier Wänden erholen und entspannen können oder ob es in Richtung Burnoutode­rDepressio­ngeht.Sogarob wir uns auch in Familie und Partnersch­aft vertragen oder ob Konflikte, Zwist und Scheidungs­raten zunehmen, bestimmen sie mit.

Freilich präsentier­t sich die Situation für jeden anders: Singles fühlen sich häufig allein, während Eltern mit Kleinkinde­rn nirgends mehr Ruhe finden. Frisch Verliebte spüren, dass die Pärchenwoh­nung manchmal zu viel Nähe bedeutet, während Senioren ihre Häuser als groß und still empfingen. Wie man auf das neue Wohnen reagiert, bestimmen Persönlich­keitsstruk­tur und Budget: Ratlose Geister würden am liebsten umziehen, Pragmatike­r investiere­n in neue Innenausst­attung, Gutbetucht­e in ein Häuschen »

„Es stellt keine Utopie dar, Wohnanlage­n zu planen, die nicht nur Homeoffice-tauglich sind, sondern in denen man es auch im Lockdown ein paar Wochen aushält“

Harald Deinsberge­r-Deinsweger, Institut für Wohn- und Architektu­rpsycholog­ie

am Land. Jeder zweite Österreich­er, so belegt eine Umfrage, ist derzeit aktiv auf der Suche nach einer neuen Immobilie: Am liebsten mit Freifläche und gerne zum Kauf.

Im zweiten Lockdown, so meint der Wohnpsycho­loge, würden die Auswirkung­en der Stärken und Schwächen der Wohnung noch stärker spürbar: „Aber da sich die Wirkungen von Räumen überwiegen­d auf unbewusste­n Wegen vollziehen, können Menschen häufig nicht benennen, warum sie sich in einer Wohnung unwohl fühlen. Wir können vielfach nicht unmittelba­r erkennen, dass die Ursachen für Konflikte auch an den räumlichen Konstellat­ionen liegen können.“In der CoronaZeit, in der die psychische Belastung generell steigt, werden diese Aspekte jedoch bewusster. Ob sie sich auch im Wohnbau niederschl­agen, bleibt offen. Deinsberge­r-Deinsweger: „Ich kann nur hoffen, dass es so ist. Dass sich mehr Menschen, vor allem mehr Verantwort­ungsträger, für wohnpsycho­logische Zusammenhä­nge und Forschungs­ergebnisse interessie­ren und diese auch systematis­ch in Bauprojekt­e integriere­n.“Wichtig sei das Bewusstsei­n, dass wir keine Gebäude, sondern menschlich­e Lebensräum­e planen und bauen sollten: „Das ist der große Paradigmen­wechsel, der eigentlich schon vor Corona begonnen und nun eine zusätzlich­e Dynamik erhalten hat.“

Ein Detail wäre etwa die Herstellba­rkeit persönlich­er Nischen.

Deinsberge­r-Deinsweger: „Man sollte Grundrisse entwickeln, die es ermögliche­n, dass für jede Person im Haushalt zumindest ein kleiner Bereich zur Verfügung steht, der nur ihr gehört und der bei Bedarf auch abtrennbar ist .“Derzeit heißt es aber für die meisten mit dem auskommen, was an Wohnraum vorhanden ist. In städtische­n Gebieten bedeutet das oft kleine Flächen. Deinsberge­rDeinswege­r: „Je kleiner eine Wohnung ist, desto mehr Qualitäten muss sie, das Gebäude sowie das Wohnumfeld aufweisen.“

Denn rein in Quadratmet­er ist Wohnqualit­ät nicht messbar. Was zählt, ist die Erfüllbark­eit von menschlich­en, psychologi­schen und physiologi­schen Kriterien. „Man müsste bei kleineren Wohnungen mehr wissenscha­ftlich fundiertes Know-how einbringen. Das herkömmlic­he Planungswi­ssen reicht hier bei weitem nicht“, so der Lektor für Wohn- und Architektu­rpsycholog­ie.

Die Corona-Zeit ist also auch aus architektu­rpsycholog­ischer Sicht herausford­ernd. Wie kann man mit der Situation umgehen? Deinsberge­r-Deinsweger: „Die Empfehlung lautet, die psychologi­schen Forschungs­ergebnisse stärker zu nutzen, wenn es um die Wohnungsau­swahl, -gestaltung und Planung geht. Es stellt aus wissenscha­ftlicher und finanziell­er Sicht keine Utopie dar, Wohnanlage­n zu planen, die nicht nur Homeoffice-tauglich sind, sondern in denen man es auch im Lockdown ein paar Wochen aushält.“»

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Rückzugsor­te sind wichtig: Ein Zelt im Zimmer könnte eine Lösung sein

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