Tiefe Gräben, neue Freunde: Rosarote Front gegen Regierung
Während es mit der ÖVP kracht, kommen Rot und Pink einander näher
Ein ehemaliger schwarzer Nationalratspräsident will der SPÖ-Chefin „eine auflegen“, der türkise Generalsekretär bezeichnet einen roten Landeshauptmann als „Querulanten“, als Retourkutsche folgt prompt der uncharmante Vergleich mit einem rosahäutigen Paarhufer.
Verglichen mit dieser Tonlage an Nebenschauplätzen wirkte die wechselseitige Kritik zwischen ÖVP und SPÖ diese Woche im Nationalrat fast zahm – bis Reinhold Lopatka ans Rednerpult ging. Der Scharfmacher aus den ÖVP-Reihen polterte gegen eine rote Abgeordnete mit türkischen Wurzeln, sie wisse wohl nicht, dass es zur heimischen Kultur gehöre „Danke“zu sagen. Anlass für den rassistischen Ausritt: Nurten Yılmaz sieht keinen Grund, sich beim Innenminister zu bedanken.
Dass Türkis und Rot keine Freunde sind, überrascht niemanden. Immerhin hat Sebastian Kurz der SPÖ 2017 die Regierungssessel vor die Tür gestellt. Man revanchierte sich nach der Implosion von Türkis-Blau mit der erstmaligen Abwahl eines Kanzlers durch den Nationalrat.
Knackpunkt Schule
Die Corona-Krise, so schien es, nahm dann anfänglich etwas Dampf aus dem Druckkessel. Pamela Rendi-Wagner betonte neben ihrer Rolle als Expertin stets, wie wichtig es sei, gemeinsam gegen die Ausbreitung der Pandemie anzukämpfen. Mehrfach stimmte die SPÖ den türkisgrünen Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen zu, sogar die nächtlichen Ausgangsbeschränkungen trugen die Sozialdemokraten – hauptsächlich auf Druck ihrer roten Landeshauptleute – mit.
Doch mit diesem gemeinsamen Vorgehen ist es nun wieder vorbei, denn gegen den aktuellen Lockdown stimmte die Opposition geschlossen – also auch die SPÖ. Der Knackpunkt, um von der Konsenslinie abzuweichen, war das Umstellen des Unterrichts auf Homeschooling – da wollten auch die roten Landeshauptleute doch nicht mehr mitgehen, der Oppositionskurs der roten Abgeordneten setzte sich durch.
Zwischenzeitlich ist im Hintergrund freilich einiges passiert. Ein Game-Changer ist die Annäherung zwischen SPÖ und Neos. Dabei stand ausgerechnet die ÖVP Patin. Mit den Stimmen der Regierungskoalition wollte sie den Untersuchungsgegenstand im Ibiza-U-Ausschuss beschneiden, Rot und Pink liefen mit vereinter Kraft dagegen an und konnten schließlich einen gemeinsamen Erfolg verbuchen, als sie vom Verfassungsgerichtshof recht bekamen.
Dass es politisch durchaus Schnittmengen zwischen beiden Parteien gibt, demonstrieren sie seither immer wieder bei gemeinsamen Pressekonferenzen.
Auch auf persönlicher Ebene verstehen sich die Parteichefinnen gut. RendiWagner schätze an Beate Meinl-Reisinger (Neos), dass sie ihre Versprechen halte, heißt es. Umgekehrt setze Meinl-Reisinger auf das virologische Fachwissen RendiWagners. Was sie eine, sei auch ein besonders sachlicher Arbeitsstil ohne viele Emotionen.
Vorläufiger Höhepunkt der rosaroten Annäherung ist freilich die Koalition in Wien. Denkbar, dass auch sie in Zukunft dazu beitragen wird, ein selten gewordenes Phänomen wieder häufiger beobachten zu können: Einigkeit zwischen der roten Bundespartei und dem mächtigen Wien.
Schaden könnte die neue starke Verbindung hingegen den Grünen. Immerhin fischen beide, SPÖ und Neos, vor allem im soziokulturellen Bereich in deren Wählerteich.