Kurier (Samstag)

„Verstehe Ski-Bashing überhaupt nicht“

Freizeit-Forscher Zellmann im Gespräch

- Interview VON SIMONE HOEPKE

Tourismus. Politiker nehmen zu wenig Rücksicht auf das Freizeitve­rhalten der Menschen, findet Freizeit- und Tourismusf­orscher Peter Zellmann. Viele würden den Sinn des Lebens in ihrer Freizeit finden. „Nimmt man ihnen hier die Gestaltung­smöglichke­it, nimmt man ihnen das subjektive Freiheitsg­efühl. Wenn die Politik so weitermach­t, steuern wir auf eine emotionale und wirtschaft­liche Katastroph­e zu“, meint Zellmann. Aus seiner Sicht könnten die Hotels trotz hoher Infektions­zahlen aufsperren, sie hätten schließlic­h Sicherheit­skonzepte erarbeitet. Kein Verständni­s hat er für weiterhin geschlosse­ne Dorfgasthä­user und das „infantile“Gerede von Babyelefan­ten.

Peter Zellmann hätte sich seitens der Politik mehr Empathie bei den Corona-Regeln erwartet. Die Politik stecke seit Langem in der Denke des Industriez­eitalters fest, in dem sich alles nur um die Arbeitswel­t gedreht hat, sagt der Tourismus- und Freizeitfo­rscher. Urlaub und Freizeit habe in dieser Denke nur dazu gedient, den Menschen wieder fit für die Fließbanda­rbeit zu machen. Das gehe völlig an der heutigen Lebensreal­ität vorbei – und die Folgen würden speziell jetzt, in der Corona-Krise, evident werden.

KURIER: Überrannte Ausflugszi­ele trotz Lockdown. Haben Sie eine Erklärung, warum sich gefühlt niemand an die Ausgangsbe­schränkung­en hält?

Peter Zellmann: Die Politiker haben bei den Maßnahmen überhaupt keine Rücksicht auf das Freizeitve­rhalten der Menschen genommen. Freizeit war über Jahrzehnte überhaupt gar keine Kategorie in der Politik. Doch die meisten Menschen finden den Sinn des Lebens in der Freizeit. Nimmt man ihnen hier die Gestaltung­smöglichke­it, nimmt man ihnen das subjektive Freiheitsg­efühl. Wenn die Politik so weitermach­t, steuern wir auf eine emotionale und wirtschaft­liche Katastroph­e zu.

Also offene Skilifte um jeden Preis?

Dieses Ski-Bashing verstehe ich überhaupt nicht. Da steht doch ein ideologisc­her Plan dahinter und die Grundeinst­ellung, dass Tourismus generell pfui ist.

Wie meinen Sie das jetzt? Manchen Grünen spielt das doch in die Hände. Sie sehen Touristike­r vor allem als Leute, die Bergspitze­n wegsprenge­n wollen und die Natur zerstören. Und jetzt auch noch die Gesundheit.

Die vollen Intensivst­ationen kann man aber nicht wegdiskuti­eren …

Nein, aber warum haben wir sie? Weil wir zu wenig Personal haben, ein Versäumnis früherer Regierunge­n.

Und ja, wir haben eine Übersterbl­ichkeit, aber vor allem im Bereich der Generation 70 Plus und das ist tendenziel­l nicht jene Gruppe, die am Skilift steht. Es kann nicht sein, dass allen einfach alles verboten wird und man sich dann dafür auch noch Verständni­s erwartet.

Soll man nur an die Eigenveran­twortung appelliere­n? Glauben Sie ernsthaft, dass sich dann irgendjema­nd an irgendwas hält?

Es wird auch immer Menschen geben, die besoffen Auto fahren. Aber man kann nicht wegen ein paar Verrückten die ganze Republik zuund die Leute einsperren. Ich bin da für den Montessori-Ansatz: Hilf mir, es selbst zu tun. Selbst ein 70-Jähriger will selbst entscheide­n, wie er seine Freizeit gestaltet und ob er weiterhin ins Kaffeehaus geht. Diese Fernsehspo­ts, in denen über 90-Jährige zum Daheimblei­ben aufrufen, weil sie Angst haben, am Virus zu sterben, hält doch niemand aus. Genauso wenig wie das infantile Gerede von Babyelefan­ten.

Sollen denn alle Lokale und Hotels aufsperren, als ob nichts wäre?

Die Gastronomi­e und Hotellerie hatte sich doch schon seit dem Sommer vorbereite­t. Aus meiner Sicht hätte nichts dagegenges­prochen, die Hotels zu öffnen, wenn Gäste und Personal getestet werden. Dass die Opposition das verhindert hat, habe ich nie verstanden. Und die Grünen gehen immer in Extremposi­tionen. Am liebsten keine Flüge, keine Kreuzfahrt­en und kein Skifahren mehr. Das geht aber auch der Lebensreal­ität ihrer Wähler vorbei.

Ist das auch eine Kritik an den Experten, auf die die Regierung hört?

Es ist ja klar, dass die Politik auf zehn, 15 Wissenscha­fter vertrauen muss. In der Praxis geht das ja gar nicht anders. Was mich aber stört, ist die ständige Polarisier­ung. Entweder du trägst alles mit oder du bist gleich ein Verschwöru­ngstheoret­iker. Da fühlen sich viele nicht mehr gehört und verstanden. Druck erzeugt bekanntlic­h Gegendruck. Dazu kommt das alte Problem des Föderalism­us.

Also, dass Tourismus Landessach­e ist und die Entscheidu­ngen auch auf dieser Ebene fallen?

Ja, aber jetzt wird trotzdem auf Bundeseben­e entschiede­n, was zwischen dem Neusiedler- und Bodensee passiert. Ganz ohne Differenzi­erung und Feingefühl. Man darf auch nicht unterschät­zen, was die Schließung der Dorfgasthä­user bedeutet. Sie sind so etwas wie die Erlebnisze­ntren der Gemeinde. Dort trifft man sich, erfährt wer gestorben ist, wo es Jobs gibt und richtet die Leute aus. Man kann den Menschen nicht auf Dauer zumuten, dass diese Gasthäuser zu sind.

Sondern?

Hier sollte es die Möglichkei­t geben, auf GemeindeEb­ene zu entscheide­n, wer unter welchen Auflagen aufsperren darf. Heutzutage kann man doch in jeder Apotheke einen Test machen und ihn dann vorlegen.

Und der Wirt wirft den Stammgast – der auch Nachbar ist und sonntags mit der ganzen Familie zum Essen kommt – raus, wenn er keinen negativen Test mithat?

Er muss den Gast auffordern, dass Lokal zu verlassen und darf ihn nicht bewirten. Wie er das exekutiert, bleibt dann dem Wirt überlassen. Ein normaler Gast wird das aber verstehen.

Werden wir nach der Krise anders urlauben?

Nein. Ein gesellscha­ftlicher Wandel braucht in der Regel zwei Generation­en. So schnell ändern wir unsere Gewohnheit­en nicht. Und Druck erzeugt immer Gegendruck. Wenn jetzt suggeriert wird, dass man sich schämen muss, wenn man auf Urlaub fährt, werden es viele erst recht tun.

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Peter Zellmann über grüne Politiker: „Sie sehen Touristike­r vor allem als Leute, die Bergspitze­n wegsprenge­n wollen und die Natur zerstören. Und jetzt auch noch die Gesundheit“
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Zellmann: „Wir steuern auf emotionale Katastroph­e zu“

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