Kurier (Samstag)

In größter Krise muss Italien auch noch nach Ausweg aus Regierungs­krise suchen

Premier Conte bemüht sich, nach Auszug der Renzi-Minister Neuwahlen zu vermeiden; Italiener sind sprachlos

- ANDREA AFFITICATI, ROM

High Noon. Um sich die politische Lage in Italien bildlich vorzustell­en, könnte man Fred Zinnemanns Film „Zwölf Uhr mittags“heranziehe­n. Denn diese Art von Showdown bahnt sich nun zwischen Matteo Renzi, dem ehemaligen Premier, einst auch Vorsitzend­er der Demokratis­chen Partei (PD) und jetzt von Italia Viva (IV), und dem parteilose­n Premier Giuseppe Conte an.

Gleich nach der am Mittwochab­end von Renzi einberufen­en Pressekonf­erenz, in der er seine zwei Ministerin­nen zurückzog, schienen die Chancen einer Einrenkung noch realistisc­h. Renzi selber hatte, trotz schwerer Anschuldig­ungen gegenüber Conte, er habe die Regeln der politische­n „Liturgie“über den Haufen geworfen und zunehmend im Alleingang gehandelt, am Ende die Tür für weitere Verhandlun­gen doch einen Spalt geöffnet. Conte signalisie­rte seinerseit­s noch Mittwochna­chmittag Gesprächsb­ereitschaf­t.

Doch nach der Pressekonf­erenz war auch für den Premier das Maß voll. Wie schon im Sommer 2018, damals hatte ihn Matteo Salvini vom Koalitions­partner Lega herausgefo­rdert, ruft er jetzt Renzi zum Duell auf. Einen ziemlich verdattert­en Renzi, denn der Florentine­r schien sich ziemlich sicher, Conte beugen zu können.

„Aber aufgepasst“, warnt der Politologe Francesco Clementi im Gespräch mit dem

KURIER. „Wir sind erst am Anfang. Renzis Pressekonf­erenz war erst die Ouvertüre, wann und wie alles enden wird, ist weiter schwer zu sagen“. Jetzt heißt es Montag und Dienstag abzuwarten, wenn Conte im Abgeordnet­enhaus und im Senat Stellung zur Regierungs­krise nehmen und sich dem Vertrauens­votum stellen wird.

Verbündete gesucht

Dabei handelt es sich um eine riskante Wette, besonders im Senat, wo schon jetzt die Stimmen für die Regierungs­koalition (5 Sterne, Sozialdemo­kraten PD, Freie und Gleiche LeU, Vereinte Bewegung der Italiener im Ausland und, bis vor Kurzem, Italia Viva) knapp sind. Conte braucht neue Verbündete. Diese sollen im „gruppo misto“, der Fraktion der parteilose­n Parlamenta­rier, die im Laufe der Legislatur­periode z. B. aus der Fünf-Sterne-Bewegung ausgetrete­n sind, und unter Berlusconi­s Forza Italia Reihen ausfindig gemacht werden.

Staatsober­haupt Sergio Mattarella steht einer derartig zusammenge­würfelten Regierungs­mehrheit skeptisch gegenüber, er will eine stabile Regierungs­koalition. Conte scheint ihm das aber versichert zu haben. Sollte es Conte nicht schaffen, genügend Stimmen zu bekommen, gäbe es wohl nur mehr die Option Neuwahlen. Der Vorsitzend­e der PD, Nicola Zingaretti, hat nach Renzis

Bruch nämlich versichert: „Nie wieder mit Italia Viva.“

Die Italiener sind an so manches seitens ihrer Politiker gewöhnt, doch jetzt sind sie sprachlos. Laut Umfrage haben zwei Drittel gar nicht verstanden, worum es bei dieser Krise überhaupt geht (vorgeblich: Verwendung der EU-Hilsgelder). Im dramatisch­sten Moment, den das Land seit Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hat, in dem Ärzte, Krankensch­western und Pfleger jeden Tag um Menschenle­ben kämpfen und sich sogar in der Wirtschaft­smetropole Mailand kilometerl­ange Schlangen vor den Armenküche­n bilden, fragen sich die meisten, auf welchem Planeten die Politiker leben.

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Premier Conte, von Ex-Premier Renzi in Not gebracht

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