Kurier (Samstag)

Als Elvis zum „Impfluence­r“wurde

Geschichte. Die Impfung gegen Polio weist einige Parallelen zu Covid-19 auf

- VON INGRID TEUFL

60 Millionen US-Amerikaner saßen bei Elvis Presleys erstem Auftritt in der beliebten „Ed Sullivan Show“vor den TV-Geräten. Der zweite Auftritt des „King of Rock ’n’ Roll“am 28. Oktober 1956 verhieß ähnlich hohe Quoten. Doch bevor der 21-jährige Star die Bühne betrat, drehten Kameras eine andere Szene. Und die hatte gesundheit­s- und imagepolit­isch vielleicht noch mehr Bedeutung. Elvis krempelte den linken Ärmel hoch – und ließ sich eine Spritze geben.

1956 war nicht nur das Jahr, in dem „Heartbreak Hotel“herauskam. Es war auch der Auftakt für die Polio-Impfung. Es war der Beginn des Fernsehzei­talters – und dieses wurde geschickt genutzt, weiß Medizinhis­toriker Herwig Czech von der MedUni Wien: „Die Präsentati­on des neu entwickelt­en Polio-Impfstoffs von Jonah Salk wurde im April 1955 als großes Medienerei­gnis inszeniert.“

Zuvor waren bereits 1,8 Millionen Kinder in einer bis dahin größten Studie mit dem neuen Impfstoff geimpft worden.

Dringlichk­eit – wie heute

Die historisch­en Aufnahmen von Elvis erinnern an den 27. Dezember 2020, als die ersten Senioren den Impfstoff gegen Covid-19 erhielten. Auch in den 1950er-Jahren wurde der Polio-Impfstoff als unglaublic­her Durchbruch gefeiert. Eine weitere Gemeinsamk­eit: „Es bestand eine gewisse Dringlichk­eit, weil immer wieder Polio-Epidemien auftraten.“

Die von einem hochinfekt­iösen Virus ausgelöste Erkrankung befällt je nach Erregertyp Darm oder Nervensyst­em und kann zu Lähmungen der Gliedmaßen bis hin zum Atemsystem führen. Bis zur Einführung einer Impfung verursacht­e die Krankheit weltweit Tausende Behinderun­gen und führte zu unzähligen Todesfälle­n, vor allem bei Kindern und Jugendlich­en.

Doch auch ungeschütz­te Erwachsene können erkranken – wie etwa der spätere US-Präsident Franklin D. Roosevelt mit 39 Jahren.

Die Situation sei zwar nicht mit den Covid-Notständen vergleichb­ar, sagt Czech. „Aber Polio war ein besonderes Problem für die öffentlich­e Gesundheit.“Eine Impfung galt als Lösung. „Die Aussichten waren lange Zeit denkbar schlecht.“

Durchbruch

„Wichtigste Voraussetz­ung für den Durchbruch war die Kultivieru­ng von Polio-Viren im Labor “, erklärt Czech. Der US-Immunologe Jonas Salk hat bereits einige Jahre daran gearbeitet. „Schon Ende 1952 hatte man sich für einen großen klinischen Versuch entschiede­n. Von der Ankündigun­g bis zum Start der Studie vergingen fast eineinhalb Jahre.“

Eine bis dahin beispiello­se Initiative folgte – quer durch alle Medien. Doch Kampagnen sind nicht alles – auf das Geld kommt es an. Und hier sieht der Historiker nicht nur einen gewichtige­n Faktor für das Gelingen, sondern auch eine wesentlich­e Parallele zur Corona-Pandemie. „Die Finanzieru­ng war gesichert. Das war entscheide­nd.“Das ermöglicht­e den Wettbewerb der Forschung: Nach Salk entwickelt­e der US-Mediziner Albert Sabin die Schluckimp­fung mit einem Lebendimpf­stoff, der 1962 in den USA zugelassen wurde.

Finanzieru­ng

Was in den 1950er-Jahren durch staatliche Hilfen und Fundraisin­g-Aktionen gelang, habe heute etwa die Europäisch­e Union getan. Der Sinn: „Die Forscher können sich auf ihre Arbeit konzentrie­ren und müssen sich keine Gedanken um die Finanzieru­ng machen.“Bei Polio spielten noch staatliche Institute eine große Rolle, „heute sind es private Firmen“.

Die Entwicklun­g eines Impfstoffs sei nur der erste Schritt, betont er. „Einen grundsätzl­ich wirksamen und ungefährli­chen Impfstoff vom Labor in die Massenprod­uktion zu bringen, ihn zu verteilen und Millionen von Menschen damit zu impfen bringt nochmals ganz andere Herausford­erungen.“

Prominente wie Elvis trugen dazu etwas bei, sind sich Historiker einig. Jugendlich­e fühlten sich bei Polio nicht betroffen, dabei waren sie die am zweithäufi­gsten erkrankte Bevölkerun­gsgruppe. Nur zehn Prozent der Jugendlich­en waren bis zu Elvis’ Auftritt geimpft. Das änderte sich danach schlagarti­g. Vielleicht auch, weil Elvis-Fanclubs jenen, die Immunisier­ungen nachweisen konnten, handsignie­rte Fotos versprache­n.

Elvis, das Teenager-Idol, war sich seiner Rolle als medienwirk­samer „Impfluence­r“durchaus bewusst (siehe auch rechts). „Der Kampf gegen Polio ist so hart wie nie zuvor“, sagte er bei seiner Impfung.

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1956 ließ sich Elvis gegen Kinderlähm­ung impfen und animierte als Teenager-Idol eine wichtige Impfgruppe zur Immunisier­ung

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