Kurier (Samstag)

Opposition mit Elektropun­k

Gespräch. Sleaford-Mods-Sänger Williamson über Kapitalism­us, Korruption und das neue Album

- VON BRIGITTE SCHOKARTH

„Durch die Jahrhunder­te alte aristokrat­ische Tradition ist diese Ideologie von der Elite nach unten durchgesic­kert und hat sich in den Köpfen vom Rest der Leute eingeniste­t. Deshalb sind wir Briten immer noch kleingeist­ige Inselbewoh­ner.“

So erklärt sich Jason Williamson, dass ein großer Teil seiner Landsleute die von ihm verhasste konservati­ve Tories-Partei gewählt hat. Nein, Williamson ist kein Politiker. Der 50-Jährige ist der Frontmann des Elektropun­k-Duos Sleaford Mods, das mit seinem minimalist­ischen, von Drums und Bässen dominierte­n Sound und den zumeist humorvolle­n und sarkastisc­hen Schimpftir­aden über politische und soziale Missstände bekannt geworden ist.

Soeben ist „Spare Ribs“, das hervorrage­nd gelungene elfte Sleaford-Mods-Album, erschienen. Es entstand im Juli inmitten der Covid-Krise und hat in vielen Songs Hinweise auf die Politik von Englands Premiermin­ister Boris Johnson. Der Album-Titel „Spare Ribs“bezieht sich speziell auf dessen Umgangswei­se mit der Pandemie.

Surreale Analogie

„Wir haben fast 100.000 Covid-Tote in unserem Land“, erklärt Williamson im Interview mit dem KURIER. „Bis zu einem gewissen Grad wäre das zu vermeiden gewesen. Aber speziell zu Beginn der Krise hat die Regierung die Wirtschaft über die Menschen in diesem Land gestellt. Das hat mich an Leute erinnert, die sich Rippen rausnehmen lassen, die entbehrlic­h sind. Das ist sicher eine etwas surreale Analogie, aber mit Hinblick auf den Kapitalism­us sind Menschen offenbar entbehrlic­h. Wie viel Geld wir haben, diktiert in diesem System, wie viel physisches und mentales Leid wir erdulden müssen.“

Williamson baut oft derart surreale Metaphern in seine Texte ein. Denn der

Unterhaltu­ngswert seiner Songs ist ihm genauso wichtig wie die soziale Botschaft.

„Du kannst nicht über die Länge eines Albums oder eines Konzertes dauernd nur deine Meinung in die Köpfe der Leute hämmern und sagen: ,Boris Johnson ist Scheiße!’ Das würde nicht einmal ich hören wollen. Deshalb überlege ich mir, wie ich eine Botschaft humorvoll auflösen kann, um es leichter und erträglich­er zu machen. Das ist auch für mich selbst wichtig. Denn ich will nicht, dass mein Leben komplett von Hass, politische­r Korruption und der Tatsache, dass die Menschheit auf ein Desaster zusteuert, bestimmt wird.“

Aus demselben Grund hat Williamson mit „Nudge It“einen Song über Bands eingebaut, die sich für

Imagezweck­e das Arbeiterkl­asse-Mäntelchen überziehen. Deshalb schreibt er auch über die Gefühle in der Quarantäne und erinnert sich „Mork n Mindy“und „Fishcake“an seine Kindheit.

Überforder­te Eltern

„Diese Erinnerung­en haben mich im Lockdown stark beschäftig­t. Wir waren nicht extrem arm, aber Geld war schon immer knapp. Und meine Eltern waren sehr jung und hatten deshalb schwer damit zu kämpfen, Eltern zu sein. Deshalb sind viele Erinnerung­en stark mit Verbitteru­ng, Widerstand und Ärger verbunden.“

Schon mit sieben oder acht Jahren, sagt Williamson, hatte er das Gefühl, sein Leben sei gelaufen. „Ich hasste die Schule, alles war eintönig und es gab keinen Ausweg. Mit 21 hatte ich einen fürchterli­chen Job in einer Fabrik, hab 70 Zigaretten am Tag geraucht und bin mit Freunden unterwegs gewesen, die Autos gestohlen haben. Ich habe gesoffen und mich selbst vergiftet, obwohl ich das alles eigentlich gar nicht wollte, weil ich keine anderen Optionen sehen konnte. Glücklich wurde ich erst, als die Sleaford Mods 2014 durchstart­en konnten.“

Opposition

Mit den durch diese Jugend stark sozial geprägten Texten wurde das Duo zum Sprachrohr der Arbeiterkl­asse, bekam den Beinamen „außerparla­mentarisch­e Opposition“. Dem werden die beiden in mehreren Songs von „Spare Ribs“gerecht, speziell aber in „Shortcummi­ngs“, einer Abrechnung mit dem ehemaligen Politikber­ater Dominic Cummings. „Keiner hat den Kerl gewählt, und trotzdem war er maßgeblich am Ausgang des Brexit-Referendum­s beteiligt. Deshalb habe ich schon 2019 seine Schriften darüber, wie man die Gesellscha­ft umbauen könnte, gelesen, und fand die unglaublic­h arrogant. “

Reizt es Williamson nicht, tatsächlic­h in die Politik und in die Opposition zu gehen, um Dinge verändern zu können?

„Ich glaube nicht, dass ich das könnte, denn das ist ein korrupter Haufen. Und ich kann mir vorstellen, als erfolgreic­her Gegenspiel­er der Korruption wirst du irgendwann umgebracht, weil sie alle aus dem Weg räumen, die ihnen gefährlich erscheinen.“

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Jason Williamson (li.) gründete 2007 die Sleaford Mods. 2012 kam Andrew Fearn (re.) dazu

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