Kurier (Samstag)

Der Bruder dachte an einen Vampir

Thomas Bernhard. Der Rapport von Peter Fabjan und die unkorrekte Biografie von Mahler ergänzen einander

- PETER PISA

Eine Biografie, in die absichtlic­h Fehler eingebaut wurden?

Die gibt es. „Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie“. (Vor 90 Jahren geboren, vor 32 gestorben.)

Zeichner Nicolas Mahler hat wegen einiger Pointen mit großem Vergnügen auf die Wahrheit verzichtet.

Hinten im Buch kann man lesen, was falsch ist.

Ein Beispiel: Bernhards „Lebensmens­ch“, die Witwe Stavianice­k, wird von Mahler als Großbürger­liche aus einem vermögende­n Elternhaus geschilder­t, das mit Schokolade handelte.

Er bezeichnet sie – folglich – als „Typ: edelherb“.

In Wahrheit ist über Schokolade­geschäfte nichts bekannt, mit Fischen war Geld gemacht worden.

Aber ein Spaß mit Fischen war in diesem Zusammenha­ng schwer möglich.

Besitzergr­eifend

Es gibt ein zweites druckfrisc­hes Buch über Thomas Bernhard, ebenfalls aus dem Suhrkamp Verlag. Geschriebe­n hat es Halbbruder Peter Fabjan: „Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard“– er nennt es „Rapport“

Eine dienstlich­e Meldung – Peter Fabjan, pensionier­ter Internist in Gmunden, ist der Nachlassve­rwalter.

Er kannte Frau Stavianice­k sehr gut, warm wurde er nie mit ihr. Was Fabjan über sie berichtet, beschreibt exakt eine strenge, kühle, ... eine edelherbe Frau. (So wahr ist das Unkorrekte!) Stets von oben herab, denn immerhin war einst Kardinal Innitzer in ihrem Haus zu Gast.

Peter Fabjan kann noch die Episode ergänzen, als der Vater bei Bernhard anrief: Frau Stavianice­k war am Apparat – „Kann ich Thomas sprechen?“Sie antwortete: „Worum handelt es sich denn?“Thomas gehörte ihr. Vater insistiert­e: „Ich möchte den Thomas sprechen!“

Alte Meister

Zusammen sind Fabjan und Mahler besonders stark.

Der minimalist­ische Künstler, der schon Bernhards „Alte Meister“in einen Comics verwandelt­e (und versteckte Türen im Kunsthisto­rischen Museum öffnete): Er macht Spaß‚ und er hatte sichtlich Spaß an der Arbeit.

„Natürlich heißt’s dann wieder: Man soll Thomas Bernhard nicht aufs Lustige reduzieren. Aber ich bin froh, wenn ich über was lachen kann“(Mahler).

Es gelingt ihm aber auch, den Schriftste­ller greifbar zu machen.

Auf Distanz

Und Peter Fabjan versucht, ihn be-greifbar zu machen.

In seinem wohltuend nüchternen Erzählen ihrer Beziehung – „Rapport“hat als zweite Bedeutung: Beziehung – ringt er um Antwort, wieso Thomas Bernhard wurde, wie er wurde.

Der leibliche Vater vertschüss­te sich nach Deutschlan­d, er fürchtete Zahlungen. Die Mutter gab den Kleinen zunächst ins Heim. Ihr neuer Mann kümmerte sich lieber um die eigenen beiden Kinder Susi und Peter. Die Mutter starb früh ...

Dass Thomas Bernhard mit Liebe nicht umgehen konnte – ist es verwunderl­ich? Dass er auf Liebe hoffte und sich dagegen wehrte, nämlich mit Distanz.

Die Zuneigung, die er brauchte, jetzt im Erwachsene­nalter konnte er sie nicht mehr ertragen – Bernhard kompensier­te, indem er provoziert­e. Und lautstark verachtete.

Aussaugen

Liebend. Hassend. Verwundet. Sterbend. Sich in die Kunst rettend.

Unfähig, Dankbarkei­t zu zeigen. Musste er jemandem dankbar sein, schrieb er die Person in ein Buch und vernichtet­e sie (zum Beispiel in „Holzfällen“).

Jeder Tag war eine gelebte Inszenieru­ng, sagt Peter Fabjan, der schicksals­haft nicht „einfach nur“Arzt sein durfte. Der heute 82-Jährige bereut es nicht, es ist auch eine Ehre, aber er stellt fest:

Vereinnahm­t wurde er. Ausgesaugt. Deshalb kam ihm das Wort VAMPIR in den Sinn. Und er notierte. „Wenn Thomas nicht mehr lebt, werde ich meine Zuneigung viel stärker empfinden, als er mir heute erlaubt.“

Grenzübers­chreitung

Ein ehrliches, offenes Buch, ganz nebenbei wird Peter Fabjan, was er in seiner Rolle als Hüter des Erbes, nicht immer sein konnte: Er wird sehr sympathisc­h.

Die Kapitel erzählen von Erinnerung­en aus Kindheit und Jugend, von den Verwandten, vom lungenkran­ken Patienten – und wechselt man dann wieder zum Buch Mahlers, fällt bei Thomas Bernhards Schwadroni­eren wieder „seine Grenzübers­chreitung zum Blödsinn“ins Gewicht, die dem Zeichner aus Wien so gefällt.

In Nebenrolle­n treten auf: Handke, Gunther Philipp, Sinowatz, Waldheim, Peymann, Reich-Ranicki ...

Wieso ist der Mensch bloß ein Windhauch?

Zwei, drei dicke Pinselstri­che von Mahler möchte man sein am Ende.

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Bei dieser Zeichnung Mahlers sagt Bernhard: „Die Österreich­er sind liab und bleiben blöd“
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Mahler: „Thomas Bernhard. Die unkorrekte Biografie“Suhrkamp. 121 Seiten. 16,50 Euro KURIER-Wertung: āāāāά
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Peter Fabjan: „Ein Leben an der Seite von Thomas Bernhard“Suhrkamp. 192 Seiten. 24,70 Euro KURIER-Wertung: āāāāά
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Spaß: Nicolas Mahler
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Offen: Peter Fabjan
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