Kurier (Samstag)

Streifzug durch die Gefühlswel­t

Schnell, schräg und schmerzhaf­t: die Streif 2021

- VON CHRISTOPH GEILER

Kitzbühel. Zweieinhal­b Stunden musste der Schweizer Beat Feuz warten, bis sein Premierens­ieg auf der Streif feststand. Der wegen der CoronaKris­e zum „Geisterren­nen“mutierte Klassiker wurde von zwei schweren Stürzen überschatt­et. Als der Schweizer Urs Kryenbühl mit verdrehtem Körper über die Ziellinie schlittert­e, wurden Erinnerung­en an die bösen Unfälle wach, die der tückische Sprung auf der Zielgerade­n in den vergangene­n Jahren schon gefordert hatte. Lange war das Rennen unterbroch­en, ein vorzeitige­s Ende war zu befürchten. Kryenbühl erlitt eine Gehirnersc­hütterung, einen Schlüsselb­einbruch sowie Risse von Kreuz- und Innenband im rechten Knie. Hinter dem Schweizer Sieger Beat Feuz wurde Matthias Mayer Zweiter. Fortsetzun­g folgt: heute.

Auf einmal wurde es still im Zielraum der Streif. Noch gespenstis­ch stiller als es ohnehin schon war bei diesem Geisterren­nen in Kitzbühel. Bei einer normalen Hahnenkamm­abfahrt wäre jetzt von den voll besetzten Tribünen ein entsetztes Raunen zu vernehmen gewesen, aber als nun Urs Kryenbühl mit wild verdrehtem Körper regungslos über die Ziellinie rutschte, war kein Mucks zu hören. Reflexarti­g drehten sich die Läufer und Trainer im Ziel weg, so wie sie es immer machen, wenn einer von ihnen stürzt. Für einige Sekunden, die einem wie eine Ewigkeit vorkamen, schienen alle in Schockstar­re, bis eine Stimme zu vernehmen war.

„Jetzt helft’s ihm doch!“

Böse Erinnerung­en

Fast 30 Minuten musste der Schweizer versorgt werden, nachdem er beim heuer so tückischen Zielsprung bei Tempo 140 fürchterli­ch zu Sturz gekommen war. Sein heftiger Aufprall auf der harten Piste ließ unweigerli­ch Erinnerung­en an die Unfälle von Scott Macartney (USA/ 2008) und Daniel Albrecht (SUI/2009) wach werden, die nach Stürzen beim Zielsprung tagelang im Koma lagen.

Kryenbühl, der eine Gehirnersc­hütterung, ein gebrochene­s Schlüsselb­ein sowie Risse von Kreuz- und Innenband im rechten Knie erlitt, war der zweite Läufer, der mit dem Rettungshu­bschrauber von der Streif geborgen werden musste. Zuvor hatte es Ryan Cochran-Siegle (USA) erwischt, der in der Traverse ins Fangnetz gekracht war und danach über Schultersc­hmerzen klagte.

Es war wie so oft in Kitzbühel, dass nach einer Abfahrt fast mehr über die Stürze gesprochen wurde als über den Ausgang des Rennens. Und wieder einmal bewahrheit­ete sich, dass die Streif die brutalste Abfahrt der Welt ist, selbst wenn sie viele Läufer im Training „angenehm“fanden.

Banges Warten

Die Stürze und Unterbrech­ungen hätten fast dafür gesorgt, dass die Ersatzabfa­hrt von Wengen nicht in die Wertung gekommen wäre. Weil immer mehr Wind aufkam und die Läufer beim Zielsprung immer unkontroll­ierter durch die Luft flogen, wurde immer wieder unterbroch­en. Beat Feuz musste mehr als zweieinhal­b Stunden lang zittern, ehe die für eine offizielle Wertung vorgeschri­ebenen 30 Läufer endlich im Ziel waren und sein erster Sieg auf der Streif feststand.

„Dieses Rennen war für mich eine emotionale Achterbahn­fahrt“, gestand Feuz. Der Sturz des Teamkolleg­en, das lange bange Warten im Ziel, die Angst vor einem Abbruch vor der Startnumme­r 30 – all das ließ den Schweizer nicht unbeeindru­ckt. „Das war ein brutal schwierige­s Rennen“, meinte der 33-Jährige, der nun bis auf Gröden alle klassische­n Weltcup-Abfahrten gewinnen konnte.

Fehlende Emotionen

All die Begleiters­cheinungen trübten freilich ein wenig die Freude des Siegers. An kaum einem anderen Ort ist die Siegerzere­monie normalerwe­ise so stimmungsv­oll wie in Kitzbühel, wo am Abend traditione­ll 20.000 Fans die StreifHeld­en hochleben lassen. „Die Zuschauer haben extrem gefehlt“, gestand Feuz.

Auch Matthias Mayer vermisste nach dem Abschwinge­n im Ziel den tosenden Applaus der Fans, der ihm für seine Fahrt auf den zweiten Rang sicher gewesen wäre. Dass er Beat Feuz den Vortritt lassen musste, nahm der Vorjahress­ieger mit Humor: „Erstens hat sich Beat diesen Sieg verdient. Und das war ja auch die Wengen-Abfahrt. Da lassen wir gerne einen Schweizer gewinnen.“

In der heutigen klassische­n Hahnenkamm­abfahrt (11.30) kann Matthias Mayer dann ja den Spieß umdrehen.

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APA/EXPA/JOHANN GRODER Sprung auf das Podest: 28 Läufer kamen in Kitzbühel ins Ziel, Österreich­s Matthias Mayer war Zweitschne­llster auf der Streif
 ??  ?? Schockmome­nt: Urs Kryenbühl wurde der Zielsprung der Streif zum Verhängnis. Nach seinem Sturz war das Rennen lange unterbroch­en
Schockmome­nt: Urs Kryenbühl wurde der Zielsprung der Streif zum Verhängnis. Nach seinem Sturz war das Rennen lange unterbroch­en
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 ??  ?? Glücksmome­nt: Beat Feuz gewann mit 16 Hundertste­l Vorsprung
Glücksmome­nt: Beat Feuz gewann mit 16 Hundertste­l Vorsprung

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