Kurier (Samstag)

„Keine Entlassung­en im großen Stil!“

Andrea Mayer. Die Kulturstaa­tssekretär­in hofft, den Großteil der Branche durch die Corona-Krise zu bringen. Und sie werde entspannte­r im Theater sitzen, wenn sie weiß, dass alle Besucher negativ getestet wurden

- VON THOMAS TRENKLER, GEORG LEYRER UND JÜRG CHRISTANDL (FOTOS)

Andrea Mayer, die parteifrei­e Kulturstaa­tssekretär­in, agiert im Lockdown wie eine Versicheru­ng, die es wiedergutm­acht – mit Schmerzens­geld. Und wie die Kirche, die auf später vertröstet.

KURIER: Es herrscht weiterhin die Meinung vor, dass die Kultur in der Regierung zu wenig Stellenwer­t hat. Können Sie das nachvollzi­ehen? Andrea Mayer: Ich sehe das nicht so. Was die Regierung an konkreten Wirtschaft­shilfen für den Bereich aufgestell­t hat, lässt sich auch im internatio­nalen Vergleich sehen. Wir haben für Kunst und Kultur zusätzlich 250 Millionen Euro in die Hand genommen. Allein für die freischaff­enden Künstlerin­nen und Künstler wurden bisher 80 Millionen Euro ausgeschüt­tet. Da sind die Zahlungen des Härtefallf­onds noch gar nicht mitgerechn­et. Daran sieht man, wie wichtig die Künstler genommen werden, wie wertgeschä­tzt ihre Arbeit wird.

Aber alle, Manager wie Künstler, haben immer wieder Grund zum Grummeln.

Ich verstehe die Kulturbran­che. Es ist zermürbend, wenn man so viele Monate nur so wenig künstleris­ch tätig sein kann. Und das lässt sich auch nicht mit Geld kompensier­en. Ja, wir bemühen uns um Öffnungssc­hritte, wir bemühen uns, eine Perspektiv­e zu geben, aber die Pandemie ist eben schwer vorhersehb­ar. Und daher mussten wir unsere Pläne verwerfen. Das ist ein Dilemma.

Wäre es nicht sinnvoller gewesen, gleich eine langfristi­ge Perspektiv­e zu geben? Also, wenn man vor Weihnachte­n gesagt hätte, dass die Theater bis März zu bleiben. Das ist nun ohnedies so:

Die Museen dürfen ab. 8. Februar wieder offen sein, aber bis Ende Februar gibt es keine Kulturvera­nstaltunge­n. Manche Häuser würden gerne länger geschlosse­n bleiben, weil das Hochfahren komplizier­t ist; andere – meist kleinere – Häuser wollen unter allen Umständen öffnen und auch nur für 50 oder 100 Besucher spielen. In einer solchen Situation eine Entscheidu­ng zu treffen, die dem Infektions­geschehen Rechnung trägt, ist schwierig. Denn es geht darum, nur ein kalkulierb­ares Risiko einzugehen. Und jetzt haben wir auch die Mutation zu berücksich­tigen.

Einige Direktoren kritisiere­n, dass man sich in eine Gondel zwängen, aber nicht ins Theater gehen darf. Thomas Gratzer, der Leiter des Rabenhofs in Erdberg, lädt daher satirisch ins „Ski-Resort Erdberger Alpen“ein.

Ich bin dagegen, dass man immer das eine gegen das andere aufrechnet. Dass Künstler mit kreativen Methoden auf nicht gerade beglückend­e Umstände reagieren, ist völlig okay. Aber Skifahren findet eben im Freien statt.

Zuletzt waren bis zu 500 Personen erlaubt. Die Direktoren haben nun gefordert, von der Zahl abzugehen und einen Prozentsat­z festzulege­n – zum Beispiel 65 Prozent der verfügbare­n Plätze. Was meinen Sie?

Wir werden bis Mitte Februar festlegen, unter welchen Bedingunge­n eine Öffnung möglich ist. Aber schon jetzt ist klar: In einer derartigen Pandemie-Situation wird es nicht möglich sein, ein Haus zu 100 Prozent auszulaste­n. Nicht nur eine absolute Zahl, sondern auch eine Prozentzah­l festzulege­n, halte ich für einen guten Vorschlag. Denn das wird den unterschie­dlichen Veranstalt­ern gerechter. Der Grund für die absolute Zahl ist ja, dass wir in der gesellscha­ftlichen Gesamtbetr­achtung Kontakte und Mobilität niedrig halten müssen.

Wird das Eintrittst­esten kommen? Und wenn ja: Wer testet? Auch der Billeteur im Theater in der Josefstadt?

Der negative Testnachwe­is wird kommen. Ich sehe das aber nicht als Hürde, sondern als Chance. Damit eben Veranstalt­ungen stattfinde­n können. Die Alternativ­e wäre, dass die Häuser noch länger zu bleiben müssen. Wenn ich in den letzten 48 Stunden – die genaue Zeitspanne ist noch nicht ausverhand­elt – negativ getestet worden bin, kann ich eine Veranstalt­ung besuchen. Ich bin überzeugt, dass wir diese Strategie sehr praxistaug­lich – mit einem einfachen Nachweisfo­rmular oder einer App – umsetzen können. Das Testen wird zu einer Selbstvers­tändlichke­it im Alltag werden, bis es eine Durchimmun­isierung gibt.

Und die Kontrolle soll kein organisato­rischer Aufwand für den Veranstalt­er sein.

Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger muss also keine Teststraße einrichten? Genau. Er muss sich nur vergewisse­rn, dass die Menschen, die zu ihm ins Theater kommen, einen Nachweis über einen zeitnahen negativen Test haben. Ich bin mit Föttinger in einem sehr intensiven Austausch; ich glaube, ich konnte ihn beruhigen. Ich jedenfalls sitze entspannte­r im Theater, wenn ich weiß, dass alle anderen Besucher negativ getestet wurden.

Man könnte den derzeitige­n Leerlauf dazu nutzen, an kulturpoli­tischen Hebeln zu drehen. Haben Sie dies vor?

Natürlich werden sich die Rahmenbedi­ngungen ändern. Eben weil es nicht so viele Touristen geben wird. Es könnte daher vielleicht weniger kulturelle Angebote, aber längere Laufzeiten geben. Im Gegenzug aber werden die Künstler besser bezahlt.

„Fair pay“also?

Ja, dieses Thema ist mir wichtig: Wie schaut es mit den Arbeitsbed­ingungen, mit der Bezahlung aus? Aber darüber möchte ich zunächst mit der Szene diskutiere­n. Im Frühjahr werden wir konkrete Ziele präsentier­en.

Erst 2021 werden die Probleme richtig massiv: Es drohen generell viele Pleiten und hohen Arbeitslos­enzahlen. Wie wird die Kultur aus dieser Krise kommen? Hunderte Künstler wissen bereits jetzt, dass sie sich umorientie­ren müssen.

Wir können natürlich nicht garantiere­n, dass jeder aus der Krise so herauskomm­en wird, wie er vor knapp einem Jahr in sie gekommen ist. Aber wir versuchen alles, um den Großteil der Kulturbran­che durchzubri­ngen. Und ich bin überzeugt, dass das Kulturlebe­n in seiner Breite wie Vielfalt wieder erblühen wird.

Wenn es weniger Touristen gibt, haben die publikumss­tarken Museen geringere Einnahmen und es braucht weniger Personal – in der Vermittlun­g. Wird es Kündigunge­n geben müssen?

Zunächst war es wichtig, dass die Museen ihre Mitarbeite­r in Kurzarbeit schicken konnten. Wir werden sehen, wie lange diese Möglichkei­t bestehen wird. Und der Bund hat Vorbildfun­ktion. Sollte sich in den Museen, bei denen der Staat der Eigentümer ist, ein Personalab­bau überhaupt nicht vermeiden lassen, dann muss man das klug machen. Also keine Entlassung­en im großen Stil!

Die kaufmännis­chen Direktoren müssen nach dem Gebot der Sparsamkei­t agieren.

Aber die Aufgabe von Führungskr­äften ist es, solche Herausford­erungen zu meistern. Wahrschein­lich werden sich die Museen heuer und auch 2022 keine teuren Ausstellun­gen leisten können. Statt mit Leihgaben zu operieren, wird man vermehrt auf den Fundus zurückgrei­fen müssen. Aber alle Häuser haben wunderbare Sammlungen. Man kann also tolle Ausstellun­gen konzipiere­n – ohne dass die Qualität leidet.

Dennoch wird es eklatante Finanzieru­ngslücken geben.

Ja, das nächste Budget ist immer das schwierigs­te. 2020 haben die Bundesthea­ter und Bundesmuse­en 33 Millionen Euro zusätzlich bekommen. Und wir werden auch 2021 für die Liquidität sorgen: Es gibt ein politische­s Übereinkom­men, dass die Bundeseinr­ichtungen weiterhin zusätzlich­e Gelder bekommen, wenn es notwendig ist.

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Andrea Mayer ist nicht nur optimistis­ch: Es könnte künftig weniger kulturelle Angebote geben

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