So wohnt Österreich
Wohnen ist ein Thema, das die Österreicher beschäftigt, das Designbewusstsein steigt. Dennoch wohnen die meisten konservativ und zeigen wenig Mut bei der Auswahl der Einrichtung.
» Seit den Zeiten, als Spannteppiche ebenso omnipräsent waren wie der Wandverbau im Wohnzimmer, hat sich viel getan. Den Wunsch nach mehr Lebensqualität
im – auch im Zuge der Lockdowns – immer wichtiger gewordenen Rückzugsort daheim hegen immer mehr Menschen und Bevölkerungsgruppen. „Auch immer mehr Männer wollen schön leben“, sagt Ulrike Nachbargauer, Gründerin des Wiener lnteriordesignstudios UNA plant. „Der Zeitpunkt ist meist dann gekommen, wenn sich Lebenssituationen verändern, die Kinder draußen sind, wenn offene Räume geschaffen werden sollen, das Wohnzimmer mit der Küche zusammenge
schlossen werden soll.“Wer sich Rat und Tat bei den Profis hole, ist meist schon vorab gut informiert, lässt sich von Instagram und Bloggern inspirieren und hat konkrete
Vorstellungen, was verändert werden soll.
Der Großteil der Österreicher nimmt die Gestaltung und Einrichtung der privaten Räumlichkeiten
jedoch selbst in die Hand. Was den Menschen dabei wichtig ist, darüber haben wir mit einer Zukunftsforscherin und zwei Innenarchitektinnen gesprochen. „Die Österreicher wohnen eher konservativ“, beobachtet die Trendforscherin Oona HorxStrathern: „Die Privatsphäre steht im Vordergrund.“Vorhänge und/oder Jalousien vor den Fenstern sind essenziell, um Einblicke zu verwehren. Das sei etwa in Dänemark und Holland ganz anders. So wie auch der Besitz hierzulande gerne eingezäunt und klar abgegrenzt wird. „Auch Shares Spaces und Co-Living sind schwierig in Österreich“, sagt Oona HorxStrathern.
Bei der Einrichtung selbst fehlt den meisten Menschen der Mut „für Farben, Tapeten und Muster“, sagt Yvonne Meindl-Cavar, Innenarchitektin und Inhaberin von Schönstil. „Ich sehe Angst vor Farbe“, verrät Ulrike Nachbargauer ausGesprächenmitKunden.„Das ist aber auch verständlich, »
denn Neubauwohnungen sind immer weiß ausgemalt. Früher gab es bunte und gestaltete Wände, erst mit den Neubauten der Nachkriegszeit hat sich das geändert.“Weiße und auch relativ kahle Wände seien typisch für österreichische Wohnungen. „Farbe wird nur bei der Dekoration verwendet“, ergänzt Yvonne MeindlCavar. Und das macht die Räume unruhig.
Generell sei die Einrichtung in Österreich entweder reduziert und puristisch – oder das Gegenteil davon, also maximalistisch. „Der Kunde geht in ein Geschäft und kauft dort alles – und aus demselben Material“, so die Expertin von Schönstil. Atmosphäre entsteht aber durch es eine Vielfalt an Farben und Stoffen. „Glatte Oberflächen und Glas sind sehr kühl. Damit Gemütlichkeit entsteht, braucht es offenporige Materialien wie Textilien und Holz. Diese können dann mit glatten Oberflächen kombiniert werden“, so Ulrike Nachbargauer. „Erst durch Erbstücke, Urlaubserinnerungen und persönliche Bilder wird sichtbar, wer hier wohnt“, ergänzt Yvonne Meindl-Cavar.
Vor allem bei offenen Wohnkonzepten ist es wichtig, Zonen zu schaffen und damit die einzelnen Funktionen (kochen, essen und wohnen) von einander abzugrenzen. Das gelingt mit Teppichen, Raumteilern (einem Bücherregal) und Möbeln wie einem Sofa, das dabei mitten im Raum steht „Viele Menschen haben gar keinen Teppich oder die falsche Größe des Teppichs“, beobachtet Yvonne Meindl-Cavar. Der Esstisch und die Stühlen müssen großzügig auf dem Teppich Platz haben, sonst wirkt diese Zone wie geschrumpft. Der Esstisch ist es die Schaltzentrale daheim, wo gegessen, geredet, Freude empfangen und Entscheidungen getroffen werden. Wichtigstes Element in jedem zentralen Wohnraum ist das Sofa, das „früher viel mehr in Richtung Fernseher geplant wurde“, so Yvonne Meindl-Cavar.
Denn das TV-Gerät wird zwar immer größer, verliert in Zeiten von Netflix jedoch an Bedeutung, man kann sich schließlich aussuchen, was man sich wann anschaut und und tut das immer öfter amTabl et. Daher verschwindet das TV-Gerät immer öfter hinter Schiebeflächen, Spiegeln oder ist Teil einer
Bilderwand – und daher nicht sichtbar.
Gab es früher einen zentralen Lichtauslass in der Mitte des Wohnzimmers – dem Altbau geschuldet – setzen die Österreicher heute auf mehrere Lichtquellen in jedem Raum. Was in einem Teil der Wohnungen noch fehlt, ist indirektes Licht und Stimmungslicht. Denn: „Mit Licht steht und fällt ein Raum, Farben kommen erst mit der Beleuchtung zur Geltung“, begründet Ulrike Nach
„Die Österreicher wohnen eher konservativ.“Oona Horx-Strathern ist Trendforscherin
„Farbe wird nur bei der Dekoration verwendet.“Yvonne Meindl-Cavar ist Innenarchitektin und Inhaberin von Schönstil
„Die Menschen haben Angst vor Farben.“Ulrike Nachbargauer ist Innenarchitektin und Gründerin des lnterior-Designstudios UNA plant
bargauer. Für verschiedene Tätigkeiten (arbeiten, ein Buch lesen, Tee trinken) braucht es auch unterschiedliche Lichtstimmungen. Oft ist die Beleuchtung zu grell.
Eine der größten Schwierigkeiten beim Einrichten ist es, Stauraum zu schaffen. Denn Kleiderschränke wirken in kleinen Zimmern wie Kinderzimmern zu wuchtig. „Sie dominieren den Raum“, betont Nachbargauer. Ideal ist stattdessen eine raumhohe Schrankzeile im Vorraum – wenn Platz dafür vorhanden ist –, wo die gesamte Kleidung untergebracht wird. Nachhaltigkeit ist bei den Österreichern zunehmend ein Thema: Möbelstücke, bei denen es sich auszahlt, sie reparieren oder umgestalten zu lassen, sind gefragt. Ökologische Einrichtung könnte sich durch die Pandemie noch verstärken. Oona Horx-Strathern: „Design ist demokratischer geworden, vieles ist leistbar.“«