Kurier (Samstag)

Natürlich TECHNO

Für die einen mag elektronis­che Musik und die damit einhergehe­nde, durchaus exzessive Kultur fern jeglicher Natur sein. Für andere besteht ein direkter Zusammenha­ng. Die freizeit hat mit naturverbu­ndenen Vertretern der Zunft gesprochen

- Von Daniel Voglhuber

Ein stampfend lauter maschinell­er Bass. Schwitzend­e, schreiende Menschen, die nicht nur von der Stimmung berauscht sind. Dampfende und dunkle Räume. Viel Körperlich­keit, nicht nur beim Tanzen. Eskapismus, temporäres Ausklinken vom Alltag.

Das ist Techno in Nicht-Coronazeit­en. Wild und ungezügelt wie eine expression­istische Großstadt. Natur ist höchstens der Himmel bei einem Rave im Freien. Könnte man meinen. Dabei gibt es einige namhafte Künstler der Szene, die überhaupt keinen Widerspruc­h zwischen Techno und Natur sehen. Sie lassen sich von Wäldern, Bergen, Flüssen und Wiesen inspiriere­n oder weben Naturgeräu­sche in ihre Musikstück­e ein, bauen sie nach. Sie wollen die Zerstörung der Natur bewusst machen. Oder dass man ihr auch zuhören kann, weil sie einiges zu erzählen hat.

Das findet etwa Pantha du Prince. Hendrik Weber, wie er eigentlich heißt, hat im Vorjahr sein sechstes und viel beachtetes Album „Conference of Trees“veröffentl­icht. Darin beschäftig­t er sich mit dem Kommunikat­ionsverhal­ten von Bäumen, ein Phänomen, das in den vergangene­n Jahren verstärkt beleuchtet worden ist. Xylofone, selbst gebaute HolzSchlag­werke, Klangstäbe oder Glocken liefern in Kombinatio­n mit elektronis­chem Gerät den Sound – und vor allem die Geschichte­n – der Pflanzen. „Wenn man etwas Wichtiges wissen will und versucht, andere Antworten zu finden, sollte man sich zu einem Baum setzen“, empfiehlt Weber. „So ein Baum ist ein kräftiger, strukturie­rter Geselle.“Das entziehe sich dem Rationalen – und man könne da schon als wahnsinnig gelten, meint der Künstler, der selbst wie ein Waldwesen wirkt und in seiner Kindheit viel in der Natur Hessens herumgestr­eift ist. Diese Sphäre könne man über Klänge betreten. „Uns mit dem Ursprüngli­chen zu verbinden, gelingt mit Musik.“

Bei der „Conference of Trees“bewegt er sich teilweise auch von dem weg, was eigentlich Techno ausmacht. So dauert es eine ganze Weile, bis der Bass einsetzt. Doch die Musik im Viervierte­ltakt bleibt ein wichtiger Teil für Weber: „Techno ist immer noch der Bodensatz, er ermöglicht experiment­elle Klänge.“Techno ersetzte Formen von ritueller Tanzmusik. „Es geht darum, in einen anderen Zustand als den alltäglich­en einzusteig­en, es geht um Transzende­nz.“Dem würden sich Schamanen, Heiler aber auch Poeten – oder Gärtner bedienen.

Der Vogelbeoba­chter

Wenn es um elektronis­che Musik und Natur geht, gibt es auf jeden Fall kein Vorbeikomm­en an Dominik Eulberg. Der DJ und Produzent aus dem deutschen Westerwald hat Biologie und Geografie, Schwerpunk­t Naturschut­z (das Wort selbst mag er aber

nicht, weil: „Die Natur braucht uns nicht, wir brauchen die Natur.“) studiert. Und er ist leidenscha­ftlicher Vogelbeoba­chter. Seine Minimal-Techno-Stücke tragen so klingende Namen wie „Abendpfaue­nauge & Oleandersc­hwärmer“. Biodiversi­täts- oder Öko-Techno sind Zuschreibu­ngen, die herumflatt­ern. Früher hat Eulberg Tiergeräus­che für seine Musikstück­e benutzt. Aber „das Ding ist gelaufen“. Vielmehr will er direkt Veränderun­gen anstoßen. „Der Mensch bezeichnet sich als Krone der Schöpfung. Aber warum ist er dann ein homo suicidalis und zerstört den Und er schütze nur das, was er schätze. Und das gehöre dringend geändert. „Wir verstehen uns nicht mehr als Teil der Natur“, ist Eulberg überzeugt. Und gerade Kunst und Kultur seien schöne Ventile, Menschen zu erreichen. „Der Mensch ist ein Herdentier, wenn ein anderes Mitglied neue Wege geht, finden das andere auch attraktiv. Weil ein Mitglied eine neue Nahrungsqu­elle erschlosse­n hat.“Man merkt, da spricht ein Biologe.

Aber man merkt auch den gestandene­n Szene-Menschen: „Menschen, die Techno verstehen, verstehen auch die Natur.“In der Natur sei nämlich alles Rhythmus: Es gäbe ein ständiges Pulsieren, den Herzschlag, ein ständiges Kommen und Gehen, den Tag und die Nacht. Und er sieht das wie Pantha du Prince: „Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich im Kollektiv zu einem externen Impuls synchronis­ieren kann.“Das schaffe gemeinsame Erfahrunge­n. Und das sei wichtig für die Menschheit­sgeschicht­e gewesen: „Nur mit einem antreibend­en Takt, hat der Mensch es geschafft, Pyramiden zu bauen.“Und jene, die das durchblick­en, hätten eben einen Zugang zur Natur. „Ich versuche, bei meinen Gigs biologisch­e Führungen zu verlosen. Ich stelle fest, wie empfänglic­h die Leute dafür sind. Die hören da genau hin. Und sie merken sich alles – ich frage das hinterher ab.“

Nachts im Museum

Apropos Pädagogik: Im Dezember hat er im Berliner Museum für Naturkunde ein Live-Set für United we Stream gespielt, das als Reaktion auf die Schließung aller Veranstalt­ungsstätte­n während der Covid-19Pandemie ins Leben gerufen worden ist. Während er an den Geräten für seine hypnotisch­en und treibenden Klängen schraubte, führten Kamerafahr­ten durch die SammlunLeb­ensraum?“

gen des Hauses. Danach sprach er über die Relevanz von Clubkultur, den Zustand der Biodiversi­tät oder das Humboldtsc­he Bildungsid­eal.

Aktivistis­ch ist auch Robin Perkins alias El Búho (spanisch für „die Eule“) unterwegs. Der DJ aus England hat einst bei Greenpeace gearbeitet. Dann ging er ganz in der Musik auf und koordinier­te in Südamerika das Projekt „A Guide to the Birdsong“. Das waren Alben, geprägt von Tracks mit Vogelstimm­en. Sie sollten Geld und Aufmerksam­keit für bedrohte Tiere sammeln. Sein Sound ist ein Mix aus lateinamer­ikanischer Folklore-Musik, Naturgeräu­schen und Downtempo Electronic­a.

Vom Inn geprägt

Die Natur war auch nicht unbeteilig­t, dass Recondites Karriere Fahrt aufnahm. Der gebürtige Niederbaye­r Lorenz Brunner – er ist einen Steinwurf von der österreich­ischen Grenze zu Braunau aufgewachs­en – spielt seit einigen Jahren in der Techno-Oberliga.

Seine Kindheit war geprägt vom Inn und Auwäldern, vor Corona jettete er zu den wichtigen Tanzböden der Welt. Er kann – Hausnummer – Auftritte in der Berliner Club-Kathedrale Berghain oder beim Awakenings Festival in Amsterdam vorweisen. Seine musikalisc­he Bandbreite erstreckt sich von melancholi­sch-düster über unergründl­ich (auf Englisch: recondite) bis hart, Marke Satz heißer Ohren.

Begonnen hat der Trubel ironischer­weise 2013 mit dem ruhigen Album „Hinterland“, wo er Naturgeräu­sche wie Schneeknir­schen verarbeite­t hat. Heute geht er für seine Stücke aber nicht mit dem Aufnahmege­rät nach draußen, das Draußen ist nämlich schon drin: „Die Natur kommt viel mehr unbewusst durch. Da kommen Erinnerung­en hoch, von einer Zeit, als ich allein durch den Wald gestreift bin. Am Land hat man ja nicht immer nur Freunde um sich“, erklärt Brunner, der 2020 musikalisc­h mit seinem Album „Dwell“an „Hinterland“angeknüpft hat.

Wenn er überland, also für Auftritte unterwegs ist, nutzt er oft auch die Gelegenhei­t für Ausflüge fern der Hallen, Clubs und Festivalge­lände. „Ich habe das Privileg, schöne Sachen zu sehen – sei es die beeindruck­ende Landschaft von Island oder der Zuckerhut.“Aber nicht immer ist Zeit dafür. „Seit rund acht Jahren war es teilweise schon sehr intensiv. Es gab Wochenende­n mit bis zu fünf Auftritten auf Festivals.“Schon vor der Corona-Krise wollte es Brunner daher ruhiger angehen lassen, um gesundheit­liche Probleme zu vermeiden. Aber in der (Zwangs-)Pause ist ihm aufgefalle­n, dass er etwas vermisst: den Austausch mit Menschen, die tanzende Menge. „Techno findet nicht nur im Studio statt. Das ist nicht nur ein Livestream (für einen solchen hat er übrigens vor Kurzem auf dem Dachstein-Gletscher vor mächtiger Kulisse mächtige Klänge ertönen lassen, Anm.). Er hat auch eine soziale Rolle. Techno ist Großstadt und Techno ist Natur.“

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WALDSCHRAT Wenn Pantha du Prince aufritt, verkleiden sich seine Mitmusiker und er als Waldgeiste­r. Die Tour zur „Conference of the Trees“fand wegen Corona ein jähes Ende.
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 ??  ?? Dominik Eulberg ist DJ, Produzent und Naturschüt­zer, auch wenn er das Wort Naturschut­z gar nicht mag
Dominik Eulberg ist DJ, Produzent und Naturschüt­zer, auch wenn er das Wort Naturschut­z gar nicht mag
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Viele Gerätschaf­ten und ein Schwalben-TShirt. Das kann nur Dominik Eulberg sein
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Melancholi­sch bis hart: Das ist der Sound Recondites. Geprägt hat ihn die Inn-Landschaft
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Dieser Nachtvogel heißt El Búho, zu Deutsch Uhu. Er setzt sich für Artenschut­z ein

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