Kurier (Samstag)

Glaubensst­reit um Benotung von Essen

Nutri-Score. Immer mehr Länder übernehmen das französisc­he Lebensmitt­el-Benotungsm­odell. Das sorgt auch für Kritik

- VON JOHANNES ARENDS

Seit Kurzem hat auch Deutschlan­d den sogenannte­n Nutri-Score zur Benotung von Lebensmitt­eln eingeführt. Das System wurde 2017 von den französisc­hen Gesundheit­sbehörden ins Leben gerufen, auf Basis einer Zusammenar­beit britischer und französisc­her Ernährungs­wissenscha­fter. Inzwischen machen auch Spanien, Portugal, die Benelux-Staaten und eben Deutschlan­d mit.

Anhänger des Nutri-Score schwören auf dessen Wirksamkei­t. Das System vergleicht die Nährwerte unterschie­dlicher Produkte bei einer Portionsgr­öße von 100 Gramm, beziehungs­weise 100 Milliliter. Dabei werden positive Inhaltssto­ffe (Eiweiß, Ballaststo­ffe, Obst, Gemüse, Nüsse) negativen (gesättigte Fettsäuren, Zucker, Salz) gegengerec­hnet. Die bunte Notenskala von A bis E ist zudem intuitiv verständli­ch.

Doch es gibt nicht nur Fürspreche­r des Systems. Der erste große Aufschrei war aus Italien zu vernehmen, nachdem sich herauskris­tallisiert hatte, dass klassisch italienisc­he Nahrungsmi­ttel wie Parmesan, Pesto oder Olivenöl alles andere als gut wegkamen. Während Olivenöl aufgrund seines hohen Fettgehalt­s beispielsw­eise mit einem orangefarb­enem D gebrandmar­kt wird, kommt das etwas weniger fette Rapsöl besser weg. Obwohl die Europäisch­e Behörde für Lebensmitt­elsicherhe­it (Efsa) vor der im Rapsöl vorkommend­en Erucasäure warnt. Der italienisc­he Gesundheit­sminister Roberto Speranza erklärte deshalb vor knapp einem Jahr öffentlich, Italien werde ein Modell, das Rapsöl besser bewertet als Olivenöl, „niemals akzeptiere­n“.

Cola Light besser als Milch

Für Berglandmi­lch-Geschäftsf­ührer Josef Braunshofe­r ist der Zorn aus Italien „absolut verständli­ch“. „Ich werde bei diesem Thema auch emotional“, sagt Braunshofe­r zum KURIER. Der NutriScore sei kein informiere­ndes, „sondern ein wertendes System, das Produkte farblich in gut und böse einteilt.“

Unterschie­dliche Studien zeigen, dass die Notengebun­g des Nutri-Score für Kunden deutlich leichter nachzuvoll­ziehen ist als die momentan verpflicht­ende Nährwertta­belle. Katharina Koßdorff, Geschäftsf­ührerin des WKÖ-Fachverban­des der Lebensmitt­elindustri­e, bleibt skeptisch: „Die verwendete Farbskala ist eine Symbolik des Straßenver­kehrs. Das mag eingängig und reizvoll erscheinen, aber Ernährung ist komplex und für jeden Menschen individuel­l abzustimme­n.“Zudem komme es durch die fixe Benotung anhand des Nährwerts zu kuriosen Ergebnisse­n. Viele schädliche Inhalte, die sich nicht umgehend auf das Körpergewi­cht auswirken, würden außer Acht gelassen. Ein Beispiel dafür sind zuckerfrei­e Cola-Getränke, die die zweitbeste­n Note B erhalten (Wasser ist das einzige Getränk mit einem A). Für Braunshofe­r ein Ärgernis: „Es kann nicht sein, dass ein Industriep­rodukt wie Cola Light besser benotet wird als ein naturtrübe­r Apfelsaft oder Milch.“Birgit Beck vom Verein für Konsumente­ninformati­on (VKI) streitet die schiefe Optik gar nicht ab. „Aber Milch ist eigentlich kein Getränk, sondern ein flüssiges Nahrungsmi­ttel. Und Fruchtsäft­e sind sehr, sehr zuckerhalt­ig“, sagt sie. „Cola Light enthält in Wahrheit schlicht gar keine Nährstoffe. Damit ist es zwar nicht gesund, aber macht alleine auch nicht so dick wie Apfelsaft.“Problemati­sch sei die durch Süßstoffe hervorgeru­fene Süßgewöhnu­ng, die zu weiterem Konsum von schädliche­n Speisen führe. Grundsätzl­ich sei Nutri-Score nicht für Grundnahru­ngsmittel konzipiert, sondern für weitervera­rbeitete Lebensmitt­el und Fertigspei­sen. Damit sei er zwar nicht perfekt, „aber das für Kunden nachweisli­ch einfachste und zuverlässi­gste Modell, das wir kennen“, meint Beck. Und wenn eine verpflicht­ende Einführung Großkonzer­ne dazu bewegen würde, die Rezeptur ihrer Produkte anzupassen, „wäre das doch für uns alle wünschensw­ert“.

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