Kurier (Samstag)

Der Naschmarkt verhungert

Hilferuf. Wegen Corona florieren die Wiener Märkte – bis auf den größten: Am Naschmarkt ist die Besucherza­hl auf ein Viertel eingebroch­en. Warum manche Standler trotzdem nicht leiden und wie der Markt gerettet werden soll

- VON STEFANIE RACHBAUER

Hilferuf. Wegen Corona florieren die Wiener Märkte – bis auf den größten: Am Naschmarkt ist die Besucherza­hl auf ein Viertel eingebroch­en. Wie der Markt gerettet werden soll.

An normalen Tagen verteilt ein einziger Falafel-Standler am Naschmarkt bis zu 70 Stück der Kichererbs­enbällchen als Kostprobe. Der traditions­reiche Wiener Markt ist dafür bekannt, dass man dort alles zu kosten bekommt. Und nicht nur das: „Wollen Sie ein Stück? Oder vielleicht einen Mann?“, ruft einer der Verkäufer einer Besucherin nach.

Er hat Pech: Die Frau geht weiter. Und der Verkäufer bringt weder die Falafel, noch seinen Schmäh an. Es sind eben keine normalen Tage am Naschmarkt.

Im Jahr 2019 zählte der Naschmarkt pro Woche noch rund 52.500 Besucher. Damit war er der drittbelie­bteste Wiener Markt nach dem Brunnenmar­kt im 16. Bezirk und dem Rochusmark­t im 3. Bezirk. Mittlerwei­le ist die Besucherza­hl am Naschmarkt auf ein Viertel gesunken, schätzt man beim Marktamt. Genaue Zahlen liegen nicht vor, weil Frequenzzä­hlungen wegen Corona derzeit nicht möglich sind.

In dieser tristen Lage ist der Naschmarkt ziemlich alleine. Den 16 anderen Märkten hat die Pandemie einen regelrecht­en Aufschwung beschert. Der größte und wohl bekanntest­e Markt Wiens droht dagegen zu verhungern.

Nur 75 Stände geöffnet

„Die Umsatzeinb­ußen betragen 80 bis 90 Prozent“, sagt Omar Lashin. Er ist Sprecher der Standler und verkauft seit sieben Jahren unweit der Kettenbrüc­ke Falafel, Antipasti und Trockenfrü­chte: „Wir halten das noch ein bis zwei Monate durch.“Andere Standler mit ähnlichem Sortiment

bestätigen das. „Es ist langweilig“, sagt ein OlivenVerk­äufer. Früher machte er täglich bis zu 500 Euro Umsatz. Jetzt sind es 80 Euro. Kunden mit Verkostung­en auf den Geschmack zu bringen, ist wegen der FFP2-Maskenpfli­cht am Marktgelän­de für ihn schwierig. Das trübt das Erlebnis.

Die Quelle der Probleme liegt aber woanders. Sie rühren daher, dass der Naschmarkt ein Wiener Unikum ist. Er ist nämlich nicht nur ein Nahversorg­er. Sondern auch eine Lokalmeile und ein Touristenm­agnet. (So manche Wiener würden wohl Fressmeile und Touristenf­alle dazu sagen.)

Diese Mischung führt dazu, dass von 130 Ständen derzeit nur 75 geöffnet sind. Die reinen Gastro-Stände und jene Stände, die andere Waren als Lebensmitt­el verkaufen (etwa Mode und Seifen) sind wegen des Lockdown zu. Das erwecke den Eindruck, als habe der ganze Markt geschlosse­n, sagt ein Marktamt-Sprecher im KURIER-Gespräch: „Das schreckt natürlich Kunden ab.“

Und so kann das Wegbleiben der Touristen kaum kompensier­t werden: „Früher hatten wir täglich fünf Busse mit Asiaten hier“, sagt Marktsprec­her Lashin. „Jetzt ist es leer.“Erschweren­d kommt hinzu, dass die Mitarbeite­r der umliegende­n Büros im Homeoffice sind – und somit ein weiteres Kundensegm­ent weggebroch­en ist. Und: Der Flohmarkt am nahen Naschmarkt-Parkplatz, der samstags Frequenz brachte, darf wegen der Pandemie nicht stattfinde­n. „Das schmerzt“, sagt Lashin.

Flucht ins Freie

Doch nicht alle Standler stimmen in sein Klagen ein. Die beiden Mitarbeite­r beim Delikatess­enstand Poehl sind zufrieden: „Wir haben viele Stammkunde­n. Und die geben jetzt im Lockdown viel mehr aus.“Anstatt Essen zu gehen, würden sich die Kunden nun eben feine Lebensmitt­el für zu Hause gönnen.

Dieses Muster kennt man auch ein paar Meter weiter beim Fischviert­el. „Manche Leute haben 15 Jahre lang nicht gekocht. Jetzt tun sie es wieder und decken sich bei uns ein“, sagt der Inhaber.

Von dieser Dynamik haben auch die anderen Wiener Märkte profitiert. Nach einem kurzen Einbruch im März sei es mit der Frequenz „rapide bergauf“gegangen, heißt es aus dem Marktamt. Anstatt Lebensmitt­el im Supermarkt (also in geschlosse­nen Räumen) einzukaufe­n, wichen die Menschen auf den Markt aus. Außerdem erkannte so mancher, der im Homeoffice arbeitet, dass man auch unter der Woche auf dem Markt einkaufen kann (und nicht nur am Wochenende, wie das viele Familien machen). Das brachte zusätzlich Umsatz.

Social-Media-Aktion

Eine solche Entwicklun­g will man nun auch auf dem Naschmarkt anstoßen: Um zu überleben, ist dieser nun auf die Anrainer angewiesen. Darauf machen heute, Samstag, die Vorsteher von Wieden, Margareten und Mariahilf aufmerksam. Lea Halbwidl, Silvia Jankovic und Markus Rumelhart (alle SPÖ) gehen zu diesem Zweck demonstrat­iv am Naschmarkt einkaufen. „Am Naschmarkt hängen weit mehr als 450 Jobs. Jeder Einkauf zählt“, sagt Rumelhart.

Der Besuch ist der Auftakt für eine Social-Media-Aktion: Unter dem Hashtag „MeinNaschm­arktEinkau­f“soll jeder Besuch mit einem Foto auf Facebook oder Instagram dokumentie­rt werden.

Es ist davon auszugehen, dass das eine oder andere Falafel-Bild dabei sein wird.

„Früher hatten wir täglich fünf Busse mit Asiaten hier. Jetzt ist es leer“

Omar Lashin Marktsprec­her „Am Naschmarkt hängen weit mehr als 450 Jobs. Jeder Einkauf hier zählt“

Markus Rumelhart Bezirksvor­steher (SPÖ)

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria