Wien wächst nur noch langsam
Bevölkerung. Zahl der Corona-Toten könnte unterschätzt worden sein / Westen der Stadt schrumpft
Bevölkerung. 2020 betrug das Wachstum 0,5 Prozent. Das sind gerade einmal 10.000 Personen.
Die fetten Jahre sind endgültig vorbei. So könnte man die jüngsten Entwicklungen in der Wiener Bevölkerungsstatistik zusammenfassen: Zwar gibt es weiterhin ein Wachstum. Mit einem Plus von 10.000 Personen (oder 0,5 Prozent) war es im abgelaufenen Jahr 2020 aber niedriger als noch 2019 und deutlich geringer als in den Boom-Jahren zwischen 2012 und 2017 (siehe Grafik).
Insgesamt lebten somit mit Stichtag 1. Jänner 2021 rund 1,92 Millionen Menschen in der Stadt, die mit dem Brexit zur fünftgrößten der EU aufgerückt ist. Diese Daten präsentierten am Freitag die Experten der MA 23 (Wirtschaft, Arbeit, Statistik). Die wichtigsten Trends:
• Covid und seine Folgen Weniger Geburten (18.500) und mehr Sterbefälle (17.500) führten dazu, dass die Geburtenbilanz
im Vorjahr nur mehr bei +1.000 lag. Die im Zusammenhang mit Corona viel zitierte Übersterblichkeit betrug in Wien im Vorjahr +9,8 Prozent und liegt damit im Bundesschnitt.
Konkret verstarben in Wien etwa 1.550 Personen mehr als erwartet. Ab zirka Mitte Oktober überschreitet in Wien die Zahl der Todesfälle die erwartbare Bandbreite. Eine deutlich bemerkbare Übersterblichkeit gab es zwar auch etwa bei der ungewöhnlich schweren Grippewelle 2016/17, jedoch nicht über einem derart langen Zeitraum, sagt Ramon Bauer von der MA 23.
Interessantes Detail: Mit 1.550 lag in Wien die Übersterblichkeit laut MA-23-Berechnungen deutlich höher als die offizielle Zahl der Corona-Toten (1.150). Auch österreichweit klafft eine deutliche Lücke (8.400 Übersterblichkeit, 6.500 CoronaTote). Für den Experten könnte das bedeuten, dass manche Corona-Tote nicht als solche identifiziert wurden. Er warnt aber vor voreiligen Schlüssen, da auch andere Faktoren auf die Todesstatistik einen Einfluss gehabt haben könnten.
Ob die Pandemie die Geburtenstatistik positiv beeinflusste, ließe sich indes jetzt noch nicht beurteilen. Das liege an der neunmonatigen Vorlaufzeit für Geburtsereignisse. Insgesamt gab es 2020 jedenfalls weniger Geburten. Die Ursache dafür ist noch unklar.
• Stabile Wanderungsbilanz Die Zuwanderung ist für 90 Prozent des Bevölkerungswachstums in Wien verantwortlich. Hier gab es keine großen Verschiebungen: Die häufigsten Geburtsländer der Neo-Wiener 2020 sind weiterhin Deutschland, Syrien, Rumänien, Afghanistan und seit längerem wieder Kroatien, was mit der Arbeitsmarkt-Öffnung
zu tun haben könnte
(siehe Grafik).
Die Zuwächse von Personen aus den klassischen Flüchtlingsländern Syrien und Afghanistan seien laut Bauer vor allem auf Menschen zurückzuführen, die aus anderen Bundesländern nach Wien gezogen seien. Der Saldo der Briten verdoppelte sich gegenüber dem langjährigen Mittel von +130 auf +290, was mit dem Brexit zu tun haben könnte.
• Wiens Westen verliert leicht Betrachtet man die Wiener Bezirksebene, fällt auf, dass die Bevölkerungsentwicklung sehr ungleichmäßig verläuft. Seit einigen Jahren legen vor allem die Flächenbezirke im Osten und Süden der Stadt zu – also jene, in denen sich auch die großen Stadtentwicklungsgebiete und Neubauprojekte befinden.
Spitzenreiter war hier im Vorjahr Floridsdorf mit einem
Plus von 3,6 Prozent. Zu den Verlieren gehört neben den Innenstadt-Bezirken neuerdings auch der Westen Wiens. „In den westlichen Bezirken ist der Rückgang aber so gering, dass man ihn nicht überbewerten soll“, sagt Bauer. So lagen die Verluste alle unter einem Prozent.
Der Bezirk mit dem stärksten Rückgängen ist denn auch wie zu erwarten einer aus der Innenstadt: Die Josefstadt mit einem Minus von 2,1 Prozent.
Die Erklärung der Experten für diesen Trend, der bereits seit einigen Jahren anhält und wohl auch die nähere Zukunft prägen wird: Nachdem es im Zuge des starken Bevölkerungswachstums bis 2017 zur Verdichtung in den Innenbezirken kam, ziehen die Wiener nun vermehrt in die neu fertiggestellten Stadtentwicklungsgebiete in den Außenbezirken sowie ins Wiener Umland.