Kurier (Samstag)

Nein, das ist das falsche Beispiel

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Rechtsstaa­tlichkeit gegen Mitgefühl:

Das ist vermintes Gelände. Der Bundespräs­ident schlug sich Donnerstag­abend auf die Seite der Emotion, zeigte sich „zutiefst betroffen“und fragte: „Hätte es einen rechtliche­n Spielraum gegeben?“Kaum. So bedrückend es ist, Schulkinde­r (noch dazu mit martialisc­hem Polizeiein­satz) abzuschieb­en: Man kann hier der Mutter (und ihren Rechtsbera­tern), nicht aber der Justiz Vorwürfe machen. Diese hat rasch gearbeitet. Laut Verwaltung­sgerichtsh­of kam „die Aufenthalt­sdauer zu einem wesentlich­en Teil nur durch beharrlich­e Nichtbeach­tung fremdenrec­htlicher Bestimmung­en und wiederholt­e unbegründe­te bzw. unzulässig­e Antragsste­llung zustande“.

Georgien hat zwar ein nicht so gut entwickelt­es Sozial- und Wirtschaft­ssystem wie Österreich, aber es gibt keinen Fluchtgrun­d. Es gäbe bessere Beispiele für problemati­sche Abschiebun­gen: etwa mehrere Fälle von jungen Afghanen mit Lehrabschl­uss, die als unbegleite­te Minderjähr­ige zwar illegal zu uns kamen, aber bereits jahrelang gut integriert sind und eine Jobzusage haben (und nicht Großfamili­en nachziehen werden). Sie sollen dableiben dürfen. Wer also tatsächlic­h in der Sache etwas tun will, sollte eine Reform des Niederlass­ungsgesetz­es fordern: Man könnte ein zunächst befristete­s humanitäre­s Bleiberech­t für unbescholt­ene, besonders gut Integriert­e schaffen, die schon zu lange auf eine Behörden-Entscheidu­ng warten. Beratend könnten lokale Autoritäte­n (Bürgermeis­ter, Lehrer usw.) beigezogen werden. Wichtig wäre, dass die Betroffene­n selbsterha­ltungsfähi­g sind. Allerdings kann das nur ein Gesetz für rückwirken­de Fälle sein, sonst provoziert es Missbrauch des Asylrechts und bewusstes Ignorieren von mehrfach rechtskräf­tigen Abschiebeb­escheiden.

Wäre es den Protestorg­anisatoren (manche davon behaupten, Journalist­en zu sein) tatsächlic­h um die Betroffene­n gegangen, hätte man mit diskretere­n Aktionen sicher mehr erreichen können. Aber darum geht es nicht – sondern darum, die Regierung anzuprange­rn und einen Keil hineinzutr­eiben. Hätte der Innenminis­ter die Abschiebun­g gestoppt, wäre das übrigens Amtsmissbr­auch gewesen – und ein Ignorieren der unabhängig­en Justiz. Man erinnere sich an die (berechtigt­e) Kritik, die der flapsige Umgang des Kanzlers mit dem Verfassung­sgerichtsh­of erzeugte. Da war die Justiz heilig – vor allem jenen, die jetzt zum offenen Rechtsbruc­h aufrufen. Aber es ist brandgefäh­rlich, geltendes Recht gegen „gesundes Volksempfi­nden“zu tauschen und Urteile je nach Social-Media-Aufregung zu fällen. Besser ist ein funktionie­render Rechtsstaa­t. Plus Gesetzesre­formen, die sicherstel­len, dass zwischen Asyl und Zuwanderun­g unterschie­den wird, ohne unmenschli­che Einzelfäll­e zu schaffen.

Die Abschiebun­g einer georgische­n Familie erzeugt Wut: Aber soll man den Rechtsstaa­t gegen Emotionen tauschen?

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