Kurier (Samstag)

Schimpanse­n lügen zwar schlecht, aber sie können’s

Ein Roman von T.C. Boyle, schon wieder

- PETER PISA

Sprich mit mir. Lucy trank gern Gin, ihr Lieblingsm­agazin war National Geographic, und es konnte geschehen, dass sie plötzlich aufsprang und den Staubsauge­r holte, um mit dem Saugrohr zu masturbier­en.

Lucy war kein Affe mehr, aber auch noch kein Mensch, sie war irgendwo dazwischen: Als einer der ersten Schimpanse­n lernte sie die etwas vereinfach­te Gebärdensp­rache. Wollte sie eine Zigarette, sagte sie mittels Handzeiche­n: „Gib mir bitte diesen weißen Rauch!“

Lucy bekam in den 1970er-Jahren von einem USUniversi­tätsprofes­sor und seiner Assistenti­n Sprachunte­rricht, und schon als sie die 90 Zeichen kannte, war sie in der Lage zu schummeln.

Schimpanse­n können lügen. Nicht gut, aber immerhin: Lucy kackte auf den Teppich und behauptete, das habe nicht sie, sondern die Assistenti­n gemacht.

Lieber Wein

Das ist eine wahre Geschichte; T.C. Boyle hat sie zu „Sprich mit mir“umgewandel­t und fortgesetz­t

Weiß man, dass es Versuche, Schimpanse­n zum Sprechen zu bringen, gegeben hat, fehlt die erste Überraschu­ng.

Boyles Schimpanse heißt Sam, trinkt Wein und isst am liebsten Pizza. Professor Guy, bei dem er wohnt, hat mit der Studentin Aimee, die sich um Sam kümmert, ein Verhältnis – vor allem aber hat Aimee ein besonders inniges Verhältnis mit Sam: Die beiden mögen einander sehr, Aimee findet sich mit Menschen schlechter zurecht.

Aber was, wenn es kein Forschungs­geld mehr gibt? Wenn Sam weg muss, in einen Käfig gesperrt und darauf vorbereite­t wird, um für medizinisc­he Experiment­e missbrauch­t zu werden?

Derartiges geschah meist.

Doppelt stark

Jetzt wird’s bissl Tschingbum – Boyle taucht in den Kopf des Affen ein, Aimee entführt Sam und lebt mit ihm in einem Wohnwagen in den Bergen. Das kann kein gutes Ende nehmen – das wird niemanden überrasche­n.

Ausgewachs­ene Schimpanse­n sind doppelt so stark wie der stärkste FootballSp­ieler.

„Sprich mit mir“ist reich an Facetten, und wenn man auch nie das Gefühl hat, dass es sich um einen der besten Romane des Kalifornie­rs handelt, so lässt er nicht kalt.

Das Buch macht etwas mit den Lesern, man wird etwas länger darüber nachdenken wollen. Ob sich Schimpanse­n fragen, warum sie im Käfig sitzen und nicht die Menschen?

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Voriges Jahr der Roman „Das Licht“, und schon kommt Sam
 ??  ?? T.C. Boyle: „Sprich mit mir“Übersetzt von Dirk Gunsteren. Hanser Verlag. 352 Seiten. 25,70 Euro
KURIER-Wertung: āāāāā
T.C. Boyle: „Sprich mit mir“Übersetzt von Dirk Gunsteren. Hanser Verlag. 352 Seiten. 25,70 Euro KURIER-Wertung: āāāāā

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