Kurier (Samstag)

Jeder Satz eine Note, zusammen spielt die Musik

Bernardine Evaristo beendet das Fehlen schwarzer Frauen in der britischen Literatur

- P.PISA

Mädchen, Frau etc. Toni Morrison beeinfluss­te sie sehr. Und jenen Satz der 2019 in New York verstorben­en LiteraturN­obelpreist­rägerin hat die Londonerin Bernardine Evaristo jetzt beherzigt:

„Wenn es ein Buch gibt, das Sie lesen möchten, das aber noch nicht geschriebe­n wurde, dann müssen Sie es selbst schreiben.“

So entstand „Mädchen, Frau etc.“Laut Evaristo gibt es keine schwarzen britischen Frauen in der Literatur, und jetzt gibt es viele: Junge sowie eine 90-jährige Frau, deren Lebensgesc­hichte einen tiefen Blick erlaubt. Frauen aus allen Schichten, eine übergibt an die nächste, ein Stafettenl­auf und Musik.

Ein zwölfstimm­iger Chor vielleicht. Oder eine Symphonie. Bernardine Evaristo ist nicht allein der Inhalt wichtig, sondern auch die Form. Es ist immer nur ein einziger Punkt gesetzt. Dann, wenn eine Geschichte fertig erzählt ist. Vorher steht jeder Satz allein in einem Absatz.

Die Erste

Da denken Argwöhnisc­he sofort, aha, so wichtig hält sie jedes ihrer Wörter. So ist das nicht, es sind „normale“Sätze, keine Ausstellun­gsstücke. Aber jeder Satz eine Note. Erst zusammen geben sie den Takt an und sind stark, es geht nur ums Zusammense­in: Nicht komplett ignoriert werden und zusammense­in, das ist eine der Aussagen. Bernardine Evaristo war 2019 die erste schwarze Schriftste­llerin, die mit dem Booker-Preis für den besten englischsp­rachige Roman ausgezeich­net wurde – gemeinsam mit Margaret Atwood für die Fortsetzun­g ihres „Report der Magd“(= „Die Zeuginnen“)

Der Reigen beginnt bei einer Künstlerin, die nie still war, sondern den wichtigen

Theaterleu­ten vor die Füße kotzte, und jetzt, mit 50, wird ihr Stück über afrikanisc­he Amazonen endlich im National Theatre aufgeführt.

Dann die Tochter, die sich geniert für die Mama. Dann ein ehemaliges Kindermädc­hen ... wie sie lachen und weinen, leben, lieben, Erfolg haben, scheitern. Vor allem: wie sie darum kämpfen, dass es kein Schwerpunk­t ist, ob jemand schwarz ist und/oder schwul.

Dass es zur Fußnote wird. Seite 141: „ach, wäre sie doch bloß eine der Privilegie­rten dieser Welt, die es als ihr selbstvers­tändliches Recht betrachten, unbehellig­t, unverdächt­igt, respektier­t die globale Welle zu surfen“

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Zwei Siegerinne­n 2019: Margret Atwood, Bernardine Evaristo
 ??  ?? Bernardine Evaristo: „Mädchen, Frau etc“Übersetzt von Tanja Handels. Tropen Verlag. 512 Seiten. 25,90 Euro
KURIER-Wertung: āāāāά
Bernardine Evaristo: „Mädchen, Frau etc“Übersetzt von Tanja Handels. Tropen Verlag. 512 Seiten. 25,90 Euro KURIER-Wertung: āāāāά

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