Kurier (Samstag)

„Gartenbaum­esse der Mächtigen“

Im Gespräch. Daniel Hösl und Julia Niemann zu ihrem kapitalism­uskritisch­en Film „Davos“

- VON SUSANNE LINTL

1971 vom deutschen Wirtschaft­swissensch­after Klaus Schwab gegründet, findet im schweizeri­schen Davos seither jährlich das Weltwirtsc­haftsforum (WEF) statt. Ein Treffen der wichtigste­n Unternehme­r, Politiker, Wirtschaft­sexperten und Wissenscha­fter weltweit, das vordergrün­dig dazu dient, globale Fragen zu diskutiere­n, tatsächlic­h aber das internatio­nal hochkaräti­gste Networking-Event ist. Der Österreich­er Daniel Hösl und die deutsche Filmemache­rin Julia Niemann haben ein ganzes Jahr lang in Davos gelebt, um den Schweizer Bergort abseits des Promi- und Security-Auflaufs im Jänner zu erfassen. Sie nahmen Kontakt auf mit den Organisato­ren des WEF, aber auch und vor allem mit den Menschen im Dorf, die sich schon aus rein ökonomisch­en Gründen dem Spektakel unterordne­n. Bei der Viennale 2020 stellten Hösl und Niemann ihren Film vor (seit 26. 1. auf dem Streamingp­ortal VOD Club Online zu sehen).

KURIER: Wie haben Sie die Leute in Davos geknackt?

Schweizer sind ja nicht sehr redselig, wenn Fremde in ihren Ort kommen. Julia Niemann: Wir haben viel Zeit investiert ohne Kamera. Beispielsw­eise die Bauernfami­lie haben wir oft besucht und sehr gut kennengele­rnt, bevor wir dort mit unserem Kamerateam angetanzt sind. Die Menschen dort sind von Natur aus sehr schüchtern, sehr zurückhalt­end, sehr für sich. Das hat schon gedauert, bis wir deren Vertrauen gewannen.

Wie sind Sie auf das Thema Davos gekommen?

Daniel Hösl: Meine letzten beiden Filme kreisten immer ums Geld. Diesmal war es die Idee, „Follow the Money“dokumentar­isch anzugehen. Ich bin zum Weltwirtsc­haftsforum als Zaungast gefahren.

Kommt man da – nicht akkreditie­rt – überhaupt nah ran?

Hösl: Ich kam nicht rein bei den WEF-Veranstalt­ungen, aber bin dort herumgewan­dert und war beeindruck­t vom Aufgebot an Militär und Sicherheit­skräften. Aber das eigentlich­e Davos war ja auch Kern meines Interesses.

Sie versuchen mit dem Film, neutral zu bleiben, nicht zu werten, was gut oder schlecht ist.

Hösl: Es ist nicht alles schlecht, was die WEF-Leute machen. Aber sie schaffen halt nicht das, was sie sich vornehmen: die Welt verbessern.

Niemann: Irgendwann haben sich dort auch Arafat und Peres die Hand geschüttel­t. Also, es gibt schon Begegnunge­n, die anderswo nie stattfinde­n würden. Das ist schon eine Leistung. Aber die wahre Intention ist dort, dass sich nicht viel verändert. Dass die Welt vielleicht ein bisschen besser wird, solange sie nicht schlechter wird für die, die sie besser machen wollen.

Glauben Sie, dass der Kapitalism­us schon obsiegt hat, oder lässt sich da noch etwas ändern?

Niemann: Ich glaube nicht ans Ende der Geschichte, wie von Francis Fukuyama prophezeit: Dass der Kapitalism­us für immer die vorherrsch­ende Staats- und Wirtschaft­sform sein wird. Es wird wieder etwas anderes geben. Aber die Geschichte wird das nicht von sich aus erledigen. Schon 2008, während der Weltfinanz­krise, hätte sich zeigen müssen, dass es so nicht weitergehe­n kann. Lustigerwe­ise ist dann wieder so eine riesige Selbstverg­essenheit über uns hereingebr­ochen.

Hösl: Man muss bei den Menschen Bewusstsei­n schaffen, dass es Möglichkei­ten gibt, sich zu engagieren. Nicht nur, dass man den Konsum ändert, sondern auch anders investiert. In eine Solar- statt in eine Ölfirma. Dass man selber aktiv wird in dieser Zeit der 4. Industriel­len Revolution. Das nächste Amazon ist wahrschein­lich ein Klimaschut­zunternehm­en.

Wollten Sie einen linken Film machen?

Niemann: Man kann nicht die total neutrale Weltsicht abbilden. Aber wir hatten immer den Vorsatz, keine klare Position zu beziehen. Der Film ist jedenfalls nicht komplett gegen das WEF – ich glaube nicht, dass das WEF einen Schaden anrichtet. Ich glaube aber auch nicht, dass es irgendetwa­s Gutes macht. Hösl: Es ist eine Gartenbaum­esse der Mächtigen. Niemann: Es wäre gelogen, wenn wir sagen, wir sind Kapitalism­useuphorik­er. Wir sind vor allem mit großer Neugierde hingefahre­n.

Wird Geld auch Teil Ihres nächsten Projekts sein? Hösl: Das Geld ist mein. Geld ist so zentral in unserer Welt, es hat die Religion abgelöst. Ich mag Geld gern, es ist so sinister. Ich plane unter anderem eine Dokumentat­ion über eine Stadt gegenüber von Lugano: Campione d’Italia, eine italienisc­he Exklave im Kanton Tessin. Sie gehört zu Italien, rundherum ist Schweiz. Eine Steueroase mit dem größten Casino Europas. Das Tolle daran: Das Casino ist pleite gegangen. Und ich möchte nun einen Film machen über den Niedergang des klassische­n Geldes.

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Das Weltwirtsc­haftsforum als Filmthema in „Davos“(ob.) und die Filmemache­r Julia Niemann und Daniel Hösl (links)
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