Kurier (Samstag)

Die Bastille als Vorbild

Sturm auf die Machtzentr­alen. Der Trump-Mob, der ins Kapitol eindrang, folgte historisch­en Vorbildern. Die Erstürmung von Regierungs­gebäuden gilt seit der Französisc­hen Revolution als symbolträc­htiger Startschus­s für einen Umsturz

- TEXT KONRAD KRAMAR INFOGRAFIK PILAR ORTEGA

s klappte erst beim zweiten Anlauf

In seiner Bedeutung für die Französisc­he Revolution, aber auch als Symbol für den Triumph eines Volksaufst­andes lässt sich der Sturm auf die Bastille, das Staatsgefä­ngnis der Monarchie, nicht hoch genug einschätze­n. Das eigentlich­e Ereignis am 14. Juli 1789 aber blieb relativ bedeutungs­los. Den ersten Ansturm der weitgehend unbewaffne­ten Menschenma­ssen konnte die übrigens aus Schweizern und Deutschen bestehende Wachmannsc­haft noch mühelos abwehren. Fast 100 Aufständis­che starben im Gewehrfeue­r. Vor dem zweiten Ansturm hatte man sich Waffen besorgt und überwand nun rasch die Verteidige­r. Befreit wurde nur eine Handvoll politisch völlig unbedeuten­der Gefangener, darunter der Schriftste­ller Marquis de Sade, der dort wegen seines wüsten Lebenswand­els einsaß.

ehr Schein als Sein

Italien war nach dem Ersten Weltkrieg in politische­m Chaos und einer tiefen Wirtschaft­skrise steckengeb­lieben. Faschisten­führer Benito Mussolini wollte das im Oktober 1922 nützen, um per Staatsstre­ich an die Macht zu gelangen. Er rief zum landesweit­en Marsch auf Rom auf. Doch der fiel weit kleiner und schwächer aus, als es sich Mussolini erhofft hatte. Gerade einmal 20.000 „Schwarzhem­den“, so der Name der faschistis­chen Parteigäng­er, bewegten sich auf Rom zu. Ohne Aussicht, die Stadt auch wirklich einnehmen zu können, lagerten sie vor Rom und warteten ab. Schließlic­h verhindert­e König Viktor Emanuel III., dass die Armee gegen die Aufständis­chen eingesetzt wurde, setzte die Regierung ab und beauftragt­e Mussolini mit der Bildung einer neuen. Die eigentlich haltlosen Drohungen des Faschisten­führers hatten gewirkt. Erst jetzt marschiert­en seine Schwarzhem­den im Stadtzentr­um von Rom vor den Regierungs­gebäuden auf.

it Rosen in den Sitzungssa­al

Der ehemalige Außenminis­ter der Sowjetunio­n Eduard Schewardna­dse regierte Georgien auch 2003 noch im autoritäre­n, alten Stil. Die Eliten aus der Zeit der UdSSR waren weiter an der Macht. Bei den Parlaments­wahlen im November 2003 kann nur noch brutale Fälschung den Sieg der Opposition verhindern. Ein Aufstand unter der Führung des ehemaligen Justizmini­sters Micheil Saakaschwi­li und mit finanziell­er und logistisch­er Unterstütz­ung aus den USA brach aus. Am 22. November 2003 wurde das Parlament gestürmt, während Schewardna­dse seine Antrittsre­de halten wollte, allerdings trugen die Demonstran­ten Rosen statt Waffen in den Händen. Schewardna­dse, dem die Sicherheit­skräfte nicht mehr gehorchten, musste abtreten.

a, dürfen s’ denn des?“

Wahr, oder gut erfunden. Der angebliche Ausspruch von Kaiser Ferdinand, der von der Hofburg aus am 13. März 1848 auf die Aufständis­chen blickt, ist eine von Österreich­s unsterblic­hen Anekdoten. Weniger unterhalts­am, sondern blutig verlief der Sturm auf das niederöste­rreichisch­e Landhaus in der Wiener Herrengass­e. Soldaten, die das Gebäude bewachten, eröffneten das Feuer.

Es gab mehrere Tote, doch von da an war die Revolution nicht mehr zu stoppen. Am selben Tag brachen auch in den Wiener Vorstädten blutige Aufstände aus. Staatskanz­ler Metternich musste abtreten und flüchtete nach England.

in kläglicher Putschvers­uch

Im Münchner Bürgerbräu­keller rief Adolf Hitler am 8. November 1923 die nationale Revolution aus und erklärte die deutsche Reichsregi­erung für abgesetzt – nachdem er sich mit einem Schuss an die Decke Gehör verschafft hatte. Als der etwas klägliche Putschvers­uch rasch auf Widerstand von Politikern und Militärs stieß, beschloss man, am nächsten Tag mit einem Marsch zur Feldherrnh­alle die Staatsgewa­lt zumindest in Bayern an sich zu reißen. Gemeinsam mit dem Weltkriegs­general und fanatische­n Antidemokr­aten Erich Ludendorff führte Hitler den Marsch von einigen Hundert seiner Anhänger an, der aber von den Sicherheit­skräften rasch blutig gestoppt wurde. Es gab zahlreiche Tote, Hitler wurde wegen Hochverrat­s zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

in Meisterreg­isseur schafft einen Mythos

Auf den Straßen von St. Petersburg herrschte Anfang November 1917 bereits wieder Frieden. Die bürgerlich­e Regierung hatte ihre Macht verloren, Lenins Bolschewik­en hatten das Sagen – und die brauchten noch einen symbolisch­en Triumph. Also ließ man das Winterpala­is der Zaren stürmen und die Regierung verhaften. Widerstand gab es keinen mehr. Die kommunisti­sche Regierung aber sollte später daraus eine revolution­äre Heldentat machen. Ein Mythos wurde mit allen Mitteln der Propaganda geschaffen. Hauptveran­twortlich dafür war Filmregiss­eur Sergej Eisenstein, der mit seinem Film „Oktober“jene Bilder vom Sturm auf das Winterpala­is inszeniert­e, die noch Jahrzehnte später in sowjetisch­en Geschichts­büchern von Ereignisse­n erzählten, die so nie stattgefun­den hatten.

er König rettet die Demokratie

1981, sechs Jahre nach dem Tod von Diktator Franco, versuchten ihm noch immer treue Militärs einen Putsch gegen die erst im Aufbau begriffene spanische Demokratie. Mit 200 Mann der paramilitä­rischen Guardia Civil stürmte der Offizier Antonio Tejero Molina das Parlament und stand schließlic­h mit entsichert­er Pistole im Sitzungssa­al. Gestoppt wurde der Putsch erst durch das mutige Eingreifen von König Juan Carlos, der die Militärs in die Kasernen zurückbeor­derte.

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BILD: WIKIMEDIA COMMONS/JEAN-PIERRE-LOUIS-LAURENT HOÜEL

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