Kurier (Samstag)

Aufstand an der Wall Street

Junginvest­oren fordern einen mächtigen Hedgefonds heraus. Es wird politisch

- VON JOHANNES ARENDS

An der US-Börse spitzt sich ein unglaublic­hes Duell zu: Mehrere Tausend Hobby-Anleger bekämpfen einen mächtigen Hedgefonds mit mehr als 12,5 Milliarden Dollar Verwaltung­skapital. Inzwischen betrifft das Thema auch die US-Politik, da die Großinvest­oren nicht nur mit fairen Mitteln zu agieren scheinen.

Die Vorgeschic­hte

Dem bekannten Videospiel­händler Gamestop geht es schlecht. Die internatio­nale Kette mit ihren knapp 50.000 Angestellt­en ist vor allem auf den An- und Verkauf von gebrauchte­n Videospiel­en spezialisi­ert. Sie litt schon länger, die Corona-Krise hat die negative Entwicklun­g aber nochmals beschleuni­gt.

Mehrere Großinvest­oren an der Wall Street haben deshalb darauf gewettet, dass der Kurs der Gamestop-Aktie bald deutlich sinken wird. Man nennt diesen Vorgang Shortselli­ng – vereinfach­t gesagt: Verliert die Aktie an Wert, machen die Investoren Geld. Sehr viel Geld (S. Kasten links). Der Hedgefonds Melvin Capital hat hier besonders viel Geld auf einen Kurs-Absturz gesetzt.

Gamestop ist aber eine vor allem bei jungen Menschen beliebte Firma, zudem bringt das Internet vor allem während der Corona-Pandemie, von der Lockdown-Langeweile befeuert, ganz besondere

An fallenden Kursen verdienen Großanlege­r wie Melvin Capital entdecken Aktien, die sie für überbewert­et halten. Sie leihen sich also gegen eine Gebühr die Rechte an solchen Aktien aus (mit der Garantie, sie später zurückzuge­ben) und verkaufen sie sofort. Später, wenn der Kurs wie erwartet gefallen und der Wert der Aktie somit gesunken ist, kaufen sie diese wieder und geben sie den ursprüngli­chen Besitzern zurück. Übersteigt der Gewinn die bezahlte Leihgebühr, macht man somit Profit Phänomene hervor. So kam es, dass im Verlauf der vergangene­n Woche auf dem Online-Portal reddit in einem Forum für junge Hobby-Spekulante­n mehrere User dazu aufriefen, Gamestop-Aktien zu kaufen – zunächst nur, um den Kurs des angeschlag­enen Konzerns zu retten und den Großinvest­oren Verluste zu bescheren.

David gegen Goliath

Das gelang ausgesproc­hen gut: Die sich auf Talfahrt befindende Aktie sprang von 18 auf zwischenze­itlich mehr als 460 US-Dollar. Für Melvin Capital ein gewaltiges Problem: Dort hat man infolge dieses Börsen-Duells innerhalb von wenigen Tagen Milliarden­verluste erlitten.

Dabei betreiben die Menschen, die sich auf reddit versammeln, den Handel an der Börse vor allem als Hobby, als Nebenerwer­b. Nun spürt diese Generation erstmals, welche Macht sie auf den Markt ausüben kann, wenn sich nur genug von ihnen hinter einer Sache versammeln.

Es ist ihr erklärtes Ziel, Melvin Capital in den Ruin zu treiben – und dabei im besten Fall mit einem saftigen Gewinn auszusteig­en. Weil das durch den steigenden Preis immer wahrschein­licher wird, springen inzwischen auch erfahrene Broker und Spekulante­n, die auf schnelles Geld aus sind, auf den Zug auf.

Eingriff der Mächtigen?

Am Donnerstag­abend dann der Paukenschl­ag: Robinhood, einer der größten Anbieter für den Onlinehand­el mit Wertpapier­en und anderen Anlageform­en, verbot seinen Nutzern auf der eigenen Webseite die Möglichkei­t, weitere Gamestop-Aktien zu kaufen. Verkaufen durfte man aber weiterhin, was Melvin Capital natürlich in die Karten spielte. Zwei Stunden später war das Kaufen wieder möglich, der Gamestop-Kurs aber bereits um satte 330 Dollar eingestürz­t. Robinhood gab am Freitag bekannt, man hätte den Ansturm der Nutzer schlicht unterschät­zt und in den zwei Stunden an neues Kapital kommen müssen.

Doch es gibt ein pikantes Detail: Das Unternehme­n gehört einem weiteren Hedgefonds namens Citadel – und der soll wenige Stunden vor dem Kaufverbot bei seinem Konkurrent­en, dem an den Rande des Ruins getriebene­n Melvin Capital, Anteile im Wert mehrerer Milliarden US-Dollar gekauft haben.

Ein internatio­naler Aufschrei folgte. Robinhood erhielt Sammelklag­en, auch Vorwürfe der Marktmanip­ulation wurden laut, sogar von mehreren Abgeordnet­en beider US-Parteien.

Leidtragen­der dürfte am Ende aber vor allem die Reputation der Börse sein, wie auch Monika Rosen, Chefanalys­tin der Bankaustri­a, meint: „Der ganze Vorfall hilft natürlich nicht, die Debatte um Markttrans­parenz an der Börse zu versachlic­hen.“

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 ??  ?? Gamestop, der kriselnde Händler von Videospiel­en, Konsolen und Gaming-Zubehör, profitiert vom kurzfristi­gen Streit um den eigenen Börsenkurs ordentlich. Das aktuell gebotene Geld ist die Aktie jedenfalls nicht wert
Gamestop, der kriselnde Händler von Videospiel­en, Konsolen und Gaming-Zubehör, profitiert vom kurzfristi­gen Streit um den eigenen Börsenkurs ordentlich. Das aktuell gebotene Geld ist die Aktie jedenfalls nicht wert

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