Aufstand an der Wall Street
Junginvestoren fordern einen mächtigen Hedgefonds heraus. Es wird politisch
An der US-Börse spitzt sich ein unglaubliches Duell zu: Mehrere Tausend Hobby-Anleger bekämpfen einen mächtigen Hedgefonds mit mehr als 12,5 Milliarden Dollar Verwaltungskapital. Inzwischen betrifft das Thema auch die US-Politik, da die Großinvestoren nicht nur mit fairen Mitteln zu agieren scheinen.
Die Vorgeschichte
Dem bekannten Videospielhändler Gamestop geht es schlecht. Die internationale Kette mit ihren knapp 50.000 Angestellten ist vor allem auf den An- und Verkauf von gebrauchten Videospielen spezialisiert. Sie litt schon länger, die Corona-Krise hat die negative Entwicklung aber nochmals beschleunigt.
Mehrere Großinvestoren an der Wall Street haben deshalb darauf gewettet, dass der Kurs der Gamestop-Aktie bald deutlich sinken wird. Man nennt diesen Vorgang Shortselling – vereinfacht gesagt: Verliert die Aktie an Wert, machen die Investoren Geld. Sehr viel Geld (S. Kasten links). Der Hedgefonds Melvin Capital hat hier besonders viel Geld auf einen Kurs-Absturz gesetzt.
Gamestop ist aber eine vor allem bei jungen Menschen beliebte Firma, zudem bringt das Internet vor allem während der Corona-Pandemie, von der Lockdown-Langeweile befeuert, ganz besondere
An fallenden Kursen verdienen Großanleger wie Melvin Capital entdecken Aktien, die sie für überbewertet halten. Sie leihen sich also gegen eine Gebühr die Rechte an solchen Aktien aus (mit der Garantie, sie später zurückzugeben) und verkaufen sie sofort. Später, wenn der Kurs wie erwartet gefallen und der Wert der Aktie somit gesunken ist, kaufen sie diese wieder und geben sie den ursprünglichen Besitzern zurück. Übersteigt der Gewinn die bezahlte Leihgebühr, macht man somit Profit Phänomene hervor. So kam es, dass im Verlauf der vergangenen Woche auf dem Online-Portal reddit in einem Forum für junge Hobby-Spekulanten mehrere User dazu aufriefen, Gamestop-Aktien zu kaufen – zunächst nur, um den Kurs des angeschlagenen Konzerns zu retten und den Großinvestoren Verluste zu bescheren.
David gegen Goliath
Das gelang ausgesprochen gut: Die sich auf Talfahrt befindende Aktie sprang von 18 auf zwischenzeitlich mehr als 460 US-Dollar. Für Melvin Capital ein gewaltiges Problem: Dort hat man infolge dieses Börsen-Duells innerhalb von wenigen Tagen Milliardenverluste erlitten.
Dabei betreiben die Menschen, die sich auf reddit versammeln, den Handel an der Börse vor allem als Hobby, als Nebenerwerb. Nun spürt diese Generation erstmals, welche Macht sie auf den Markt ausüben kann, wenn sich nur genug von ihnen hinter einer Sache versammeln.
Es ist ihr erklärtes Ziel, Melvin Capital in den Ruin zu treiben – und dabei im besten Fall mit einem saftigen Gewinn auszusteigen. Weil das durch den steigenden Preis immer wahrscheinlicher wird, springen inzwischen auch erfahrene Broker und Spekulanten, die auf schnelles Geld aus sind, auf den Zug auf.
Eingriff der Mächtigen?
Am Donnerstagabend dann der Paukenschlag: Robinhood, einer der größten Anbieter für den Onlinehandel mit Wertpapieren und anderen Anlageformen, verbot seinen Nutzern auf der eigenen Webseite die Möglichkeit, weitere Gamestop-Aktien zu kaufen. Verkaufen durfte man aber weiterhin, was Melvin Capital natürlich in die Karten spielte. Zwei Stunden später war das Kaufen wieder möglich, der Gamestop-Kurs aber bereits um satte 330 Dollar eingestürzt. Robinhood gab am Freitag bekannt, man hätte den Ansturm der Nutzer schlicht unterschätzt und in den zwei Stunden an neues Kapital kommen müssen.
Doch es gibt ein pikantes Detail: Das Unternehmen gehört einem weiteren Hedgefonds namens Citadel – und der soll wenige Stunden vor dem Kaufverbot bei seinem Konkurrenten, dem an den Rande des Ruins getriebenen Melvin Capital, Anteile im Wert mehrerer Milliarden US-Dollar gekauft haben.
Ein internationaler Aufschrei folgte. Robinhood erhielt Sammelklagen, auch Vorwürfe der Marktmanipulation wurden laut, sogar von mehreren Abgeordneten beider US-Parteien.
Leidtragender dürfte am Ende aber vor allem die Reputation der Börse sein, wie auch Monika Rosen, Chefanalystin der Bankaustria, meint: „Der ganze Vorfall hilft natürlich nicht, die Debatte um Markttransparenz an der Börse zu versachlichen.“