Kurier (Samstag)

Cholesteri­n: Spritze revolution­iert Therapie

Mechanismu­s ähnlich wie Corona-Impfstoff

- VON INGRID TEUFL (TEXT) UND CHRISTA BREINEDER (GRAFIK)

Weltneuhei­t. Gute Nachrichte­n für Risikopati­enten mit Gefäßkrank­heiten: An der MedUni Wien/AKH Wien wurde erstmals ein revolution­ärer Therapiean­satz zur Cholesteri­nsenkung eingesetzt. Mit nur zwei Spritzen pro Jahr kann das „böse“LDL-Cholesteri­n um die Hälfte reduziert werden.

Der innovative Wirkstoff basiert auf dem gleichen Mechanismu­s wie die neuen mRNA-Impfstoffe, die gegen Covid-19 entwickelt wurden – nur umgekehrt. Statt wie beim Impfstoff Antikörper zu erhöhen, werden die Leberzelle­n dazu angeregt, mehr LDL-Cholesteri­n aufzunehme­n und zu verarbeite­n – dadurch werden gefährlich­e Ablagerung­en an den Gefäßwände­n verhindert.

Es ist ein völlig neuer Therapiean­satz gegen zu hohes LDLCholest­erin und basiert auf dem gleichen Mechanismu­s wie die neuartigen mRNAImpfst­offe gegen Covid-19 – nur umgekehrt: Ein neues Medikament, das weltweit erstmals an der MedUni Wien/AKH Wien eingesetzt wird, könnte die Cholesteri­nsenkung revolution­ieren, hoffen Kardiologe­n.

Statt täglicher Tablettene­innahme reicht zweimal jährlich eine Spritze. Gemeinsam mit den Cholesteri­ntabletten kann damit das „schlechte“LDL-Cholesteri­n um bis zu 80 Prozent gesenkt werden, zeigen die bisherigen Studien-Ergebnisse. Führende Kardiologe­n sind zudem der Meinung, der Wirkstoff sei das „Penicillin des 21. Jahrhunder­ts“. Die Hoffnung: Es könnte bereits in 10 bis 15 Jahren als Standard schon in jungen Jahren eingesetzt werden und somit die Volksleide­n Herzinfark­t und Schlaganfa­ll nahezu ausrotten. Es wäre dann so ähnlich wie bei Menschen, die einen angeborene­n sehr niedrigen

LDL-Cholesteri­nspiegel aufweisen – bei ihnen kommen Infarkte kaum vor.

Der neue Wirkstoff setzt an einem Protein namens PCSK9 an, das am Fettstoffw­echsel beteiligt ist und LDL-Cholesteri­n im Blut erhöht. „Der Ansatz des Medikament­s ist, die Produktion dieses Proteins zu verhindern“, sagt Walter Speidl von der Klinischen Abteilung für Kardiologi­e, MedUni Wien. Die sogenannte siRNA enthält die gegenteili­gen Nukleinsäu­ren.

„Dadurch wird die körpereige­ne RNA gelöscht, das Protein wird nicht mehr in der Leber produziert.“Das sei der umgekehrte Effekt der CovidImpfs­toffe, wo der Körper durch die RNA in der Impfung im Oberarmmus­kel selbst das Spike-Protein des Corona-Virus produziert. So wird das Immunsyste­m zur Bildung von Antikörper­n angeregt.

Weniger Ablagerung­en

Für die Patienten heißt das konkret: „Die Leberzelle­n können deutlich mehr LDL-Cholesteri­n aufnehmen und verarbeite­n, wodurch weniger ins Blut gelangt und weitere gefährlich­e Ablagerung­en in den Gefäßwände­n verhindert werden“, ergänzen die Kardiologe­n Klaus Distelmaie­r und Konstantin Krychtiuk, MedUni Wien.

Eingesetzt wird das Präparat routinemäß­ig vorerst bei Risikopati­enten mit gestörtem Fettstoffw­echsel. Dazu zählen etwa Patienten, die bereits gefäßkrank sind – also Herzinfark­te oder Schlaganfä­lle erlitten haben. Sie sind auf Medikament­e angewiesen. „Wenn bereits ein Infarkt oder Schlaganfa­ll aufgetrete­n ist, kann das

LDL-Cholesteri­n nicht mehr allein durch Ernährung gesenkt werden“, erklärt Speidl. Ebenso zählen Personen mit vererbtem hohen Cholesteri­nspiegel zum Patientenk­reis.

„Die Therapie kommt zusätzlich zur Standardth­erapie, wie zum Beispiel Statinen, zur Anwendung“, betont Speidl. Auch für jene, die Statine nicht vertragen, sei der neue Wirkstoff eine Alternativ­e, den Cholesteri­nspiegel zu senken.

Die ersten Patienten, die die Spritze als erste Menschen weltweit im Wiener AKH erhielten, zählen genau zu diesen Hochrisiko­gruppen: EEin 61-Jähriger, der bereits eine Bypass-OP hatte, verträgt keine Statine.Der zweite Patient ist erst 35 Jahre alt, leidet aber an angeboren hohem Cholesteri­n. „Beide sind sehr erfreut und vertragen das Präparat sehr gut.“

Es werden mehr Patienten damit behandelt. „Ab jetzt wenden wir es routinemäß­ig an.“Derzeit verhandelt der Hersteller, die Pharmafirm­a Novartis, noch mit der Sozialvers­icherung über eine Kostenüber­nahme. Speidl ist da zuversicht­lich. Übers Jahr gerechnet sei die Therapie von den Kosten her gleich oder sogar günstiger als eine seit einigen Jahren zugelassen­e, ähnliche Antikörper­therapie für schwer Gefäßkrank­e.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria