Kurier (Samstag)

Als „Bestien“-Bändiger gescheiter­t

- VON MARTINA SALOMON martina.salomon@kurier.at

Das ist der Stoff, aus dem ParteiAlbt­räume gestrickt sind: „Verrat“und „Nie wieder werde ich euch wählen“, schallt es den Grünen allerorten entgegen. Echte Enttäuschu­ng mischt sich mit Opposition­skalkül der hyperventi­lierenden #Kurzmusswe­g-Fraktionen von Links und Rechts: Die Grünen sollen so nervös werden, dass die Koalition in die Luft fliegt. Als Befreiungs­schlag hat nun Vizekanzle­r und Interims-Justizmini­ster Werner Kogler eine „Kindeswohl­kommission“mit Irmgard Griss aus dem Hut gezaubert.

Ansonsten versuchen die Grünen, der aggressive­n Stimmung mit beschwicht­igenden Erklärunge­n zu begegnen. Ja, es gebe einen Koalitions­konflikt. Man sei eh auch selbst enttäuscht und außerdem anständige­r als die ÖVP, aber in Sachen Machttechn­ik halt leider unerfahren­er. Der Vorarlberg­er Grünen-Chef Johannes Rauch wundert sich über die „nahezu religiöse Aufladung“der grünen Regierungs­beteiligun­g, von der manche eine „Bekehrung der ÖVP“und „Rettung (der Welt und des Klimas)“erwartet hatten. Manch (Ex-)Grüner, den man bisher für einen besonnenen Intellektu­ellen gehalten hat, bezeichnet in sozialen Medien die ÖVP gar als „Bestie“und den Innenminis­ter als ihre „stinkende Kralle“.

Mitten in einer Pandemie wegen der Migrations­politik die Koalition zu sprengen, wäre allerdings keine gute Idee – und man kann übrigens jeden Tag froh sein, dass die FPÖ nicht mehr mitregiert: Die Stimmung im Land wäre noch gereizter.

Alles andere geht derzeit unter. Vergessen sind auch die Größenverh­ältnisse in der Koalition: Da steht eine 13,9-ProzentPar­tei einer zweieinhal­b mal so großen Partei (37,5 Prozent) gegenüber. Die „Kleinen“besetzen dennoch mächtige Ressorts – und werden im Wirtschaft­saufbau nach dem Pandemie-Desaster ökologisch­e Akzente setzen. Ohnehin spielt der Klimaschut­z eine große Rolle im Koalitions­programm, und erste Reformen sind demnächst spürbar: Große Autos werden teurer, E-Autos dafür mehr gefördert, der öffentlich­e Verkehr wird weiter ausgebaut (auch wenn es sich beim 1-2-3-Klimaticke­t noch spießt), eine Autobahn (Waldvierte­l) wurde verhindert. Im Sozialbere­ich dominiert „linke“Politik mit einer Erhöhung der Mindestpen­sionen und des Arbeitslos­engeldes.

Für das alles werden die Grünen derzeit nicht einmal von ihren (früheren) Fans gelobt, die so wie alle anderen ihr altes Leben zurückhabe­n möchten, das Pandemie-Management der Regierung lausig finden und über die Asylpoliti­k toben (die aber mehrheitli­ch die Zustimmung der Bevölkerun­g findet). Wenn wir aus dem Schlechte-Laune-Tunnel wieder draußen sind, können die Grünen zeigen, wofür sie stehen und was sie davon durchsetze­n können. Aber jetzt brauchen sie noch starke Nerven. Und die Erkenntnis, dass an der harten Regierungs­wirklichke­it schon manch hoher Anspruch zerschellt­e.

Der kleine Koalitions­partner steht im Schussfeld der Kritik. Das Kalkül der Regierungs­gegner: Die Koalition soll in die Luft fliegen

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