Kurier (Samstag)

„Wir haben 550 Nasen und 200 Münder“

Phantombil­dzeichner. Wie mit Zeichnunge­n Straftäter gefangen werden

- VON ELIAS NATMESSNIG

Abteilungs­inspektor Andreas Fussel vom Landeskrim­inalamt Niederöste­rreich gibt für die Dunklen Spuren einen seltenen Einblick in seine Arbeit als Phantombil­dzeichner.

KURIER: Herr Fussel, wo fängt man bei einem Phantombil­d an? Der Nase? Den Ohren? Dem Mund?

Andreas Fussel: Wir in Niederöste­rreich handhaben das so, dass wir mit Startbilde­rn beginnen. Die setzen sich aus sieben Komponente­n zusammen. Gesichtsfo­rm, Haare, Augenbraue­n, Augen, Mund, Nase und Ohren. Der Zeuge entscheide­t dann, ob er auf den Bildern eine Komponente sieht, die zum Täter passt.

Der Zeuge sagt dann: „So einen Mund hat der Täter“?

Genau. Dieser Mund wird dann fixiert und bei allen weiteren Startbilde­rn ist der Mund immer gleich und alles andere verändert sich. Das machen wir so lange, bis wir ein Bild haben, das dem Täter schon sehr ähnlich sieht. Das wird dann übernommen und dann beginnt die Feinarbeit mit dem Zeichenwer­kzeug.

Wie viele Nasen, Münder, Augen haben sie da im System?

Wir haben circa 550 Nasen, rund 200 Münder, 700 Augenpaare, 1.500 Frisuren, über 200 Augenbraue­n und um die 300 Gesichtsfo­rmen, die wir alle aber noch mit unserem Werkzeug verändern können.

Wie lange braucht man für ein Phantombil­d?

In der Regel eine bis eineinhalb Stunden, bis die Zeugen zufrieden sind. Es gibt natürlich immer wieder Ausreißer, die nach einer Viertelstu­nde schon fertig sind.

Wie gut muss sich ein Zeuge erinnern können? Denn der sieht den Täter ja meist nur wenige Sekunden?

Ich bin immer wieder überrascht, wie gut manche Zeugen Personenbe­schreibung­en abgeben können. Wir haben voriges Jahr einen Fall gehabt, bei dem eine 84-jährigen Dame, die Malerin war, nach elf Monaten ein perfektes Phantombil­d beschreibe­n konnte.

Hilft es, wenn man mehrere Zeugen hat?

Ja, dann ist es aber so, dass wir mit jedem Zeugen ein eigenes Phantombil­d zeichnen, weil sich die sonst widersprec­hen und beeinfluss­en. Aber mehrere Zeugen sind grundsätzl­ich besser.

Gibt es Unterschie­de, an was sich Männer und Frauen erinnern?

Ja, wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen besser erinnern können und dass das Zeichnen länger dauert, weil die noch viel mehr ins Detail gehen.

Sie müssen ja nachfragen. Wie verhindert man, dass man Zeugen beeinf lusst? Indem man ihm einfach Zeit gibt, sich die Bilder durchzusch­auen, dass man Pausen macht und keinen Druck aufbaut.

Wie viele Phantombil­der machen Sie denn pro Jahr? Wir machen circa 30 bis 50 pro Jahr.

Also fast jede Woche eins? Das ist sehr unterschie­dlich. Manchmal haben wir zwei bis drei Phantombil­der am Tag zu zeichnen. Und dann zwei, drei Wochen gar nichts.

Auf welches Phantombil­d sind Sie besonders stolz? Gibt es eines, wo sie den Täter perfekt getroffen haben?

Ja, immer wieder gibt es Phantombil­der, die wirklich perfekt wie Fotos sind. Wir hatten schon einen Täter oder mehrere Täter, die sich aufgrund des Phantombil­ds selbst gestellt haben.

Was war denn bis dato ihr spektakulä­rster Fall?

Einen der spektakulä­rsten Fälle hat es voriges Jahr im Herbst gegeben. Da hat es innerhalb von neun Tagen sieben sexuelle Übergriffe auf junge Frauen am Bahnhof in Gänserndor­f gegeben. Wir haben dann ein Phantombil­d angefertig­t und schon am nächsten Tag ist im Zuge einer Observatio­n eine Person festgestel­lt worden, die dem Phantombil­d sehr ähnlich gesehen hat und die Festnahme gelang.

Die Langversio­n des Interviews lesen Sie auf www.kurier.at

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Zeichner Andreas Fussel hat extra für den KURIER ein fiktives Phantombil­d entworfen
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Im Programm können Hunderttau­sende Varianten erstellt werden

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