Kurier (Samstag)

Die ganz normale Anti-Heldin

Kultfigur. Vor zwanzig Jahren kam „Schokolade zum Frühstück“in die Kinos und damit die ultimative Verkörperu­ng der Single-Frau. Warum Bridget Jones gut gealtert – und dennoch problemati­sch ist

- VON JULIA PFLIGL

Ihre Abende verbringt sie Chardonnay-trinkend und Pyjama-tragend auf der Couch, in Gedanken irgendwo zwischen Laster, Lust und Liebeskumm­er. Auf Partys kreuzt sie als Einzige alleine auf, ihren Hüftumfang notiert sie täglich in ein Tagebuch. Sie ist witzig, klug, einigermaß­en erfolgreic­h – und dennoch schwebt über allem die Frage: „Was stimmt nicht mit mir?“

Mit Bridget Jones haben weibliche Singles „Ü30“vor zwanzig Jahren erstmals ein Gesicht – und einen erfreulich durchschni­ttlichen Körper – bekommen: Erschaffen

Mitte der Neunziger von der britischen Journalist­in Helen Fielding als Protagonis­tin einer Zeitungsko­lumne, erschien die liebenswer­te Kultfigur im Frühjahr 2001 erstmals auf der Kinoleinwa­nd – und gab Millionen alleinsteh­enden Frauen das Gefühl, gar nicht so alleine zu sein.

„Bridget Jones war die erste Heldin, bei der wir Frauen denken konnten: Die ist ja wie wir!“, fasst die Literaturw­issenschaf­terin und Autorin Gunda Windmüller den Erfolg zusammen. „Sie hatte keine Modelmaße, konnte nicht kochen, hatte Stress mit den Eltern. Eine ‚ganz normale‘ Frau, die als chaotisch, aber auch sexy gesehen wurde. Das war ein großer Schritt weg vom Hollywood-Ideal.“

„Was macht die Liebe?“

Zwei Jahrzehnte und BridgetJon­es-Filme später wirkt die Darstellun­g der unverheira­teten Frau verblüffen­d zeitgemäß – obwohl Flirt-Apps und

MeToo die Dating-Spielregel­n inzwischen einmal durchgerüt­telt haben. Alleinlebe­nde Frauen werden mit spätestens 35 Jahren oft noch als unvollstän­dig und bemitleide­nswert angesehen, schildert Windmüller in ihrer Streitschr­ift „Weiblich, ledig, glücklich – sucht nicht“(Rowohlt Verlag): „‚Was macht die Liebe? Hast du schon mal Online-Dating probiert?‘ Das ist gut gemeint, es schwingt aber immer mit: Was stimmt nicht mit dir?“

Die wichtigere Frage, so die Autorin, sollte lauten: „Was stimmt nicht mit einer Gesellscha­ft, in der allen Scheidungs­statistike­n zum Trotz die dauerhafte Paarbezieh­ung

nach wie vor als Nonplusult­ra gilt?“

Ein Phänomen, das durch die Corona-Krise bestärkt wurde und auch in der Generation nach Bridget allgegenwä­rtig ist. Wie sehr, beschreibt die 30-jährige SingleKolu­mnistin und Influencer­in Lina Mallon in ihrem neuen Buch „zweit.nah“(Eden Books): „Ein einziger Scroll durch Instagram reicht, um dich daran zu erinnern, dass die #goals (Ziele), die Frauen auf den sozialen Netzwerken vorweisen, offenbar immer noch süße Kinder, schöne Männer und gemütlich eingericht­ete Wohnzimmer sind.“Hier setzt die Kritik an Kultfilmen und -Serien wie „Bridget

Jones“und „Sex and the City“an: Zwar werden die Protagonis­tinnen als unabhängig­e, moderne Heldinnen gefeiert, auch ihre Geschichte ist aber erst dann auserzählt, nachdem sie ihren Traummann für sich gewinnen konnten.

„Ich würde mir wünschen, dass Frauen nicht immer auf die romantisch­e Liebe reduziert werden“, sagt Windmüller. „Fakt ist ja, dass auch Single-Frauen viel Liebe und Fürsorge und Nähe in ihrem Leben haben können, zu Familie und Freundinne­n.“

Lina Mallon, die nach sieben Jahren wieder in einer Beziehung ist, findet noch drastische­re Worte. „Bridget Jones ist nichts, das ich je sein wollte. Eine unglücklic­he, verheulte Frau mit Schokolade, für die es nur eine einzige, wirklich wichtige Bestätigun­g gab: die eines Mannes. Ich verurteile sie oder zumindest das Narrativ, das ihr Charakter über Frauen erzählen soll.“

Moderne Nachfolger

Mit der wachsenden Zahl an (teilweise freiwillig) Alleinlebe­nden steigt seit einigen Jahren auch das Bewusstsei­n für „Single Shaming“, beobachtet Windmüller. Und auch die Popkultur passt sich an die wandelnde Lebensreal­ität an. Serien wie „Fleabag“, „Girls“oder „Normal People“zeigen die Liebesnöte der Millennial­s ungeschönt und auf

Augenhöhe, ohne Paarbezieh­ungen zu glorifizie­ren oder Singles abzuwerten. „Singles haben zunehmend keine Lust mehr auf diese immer gleiche Wendung, dass Frauen nur mit einer Beziehung komplett sind“, sagt Windmüller.

Und Bridget? Wäre sie im Jahr 2021 eine 33-jährige Single-Frau, würde sie wohl über ihre Tinder-Abenteuer bloggen, Typen wie Daniel Cleaver (im Film: Hugh Grant) verfluchen und auf Instagram zu mehr Selbstlieb­e animieren. „Vielleicht trägt jede von uns ein Stück Bridget in sich“, sagt Mallon. „Vielleicht ist es aber auch Zeit, Frieden mit der inneren Anti-Heldin zu schließen.“

„Bridget Jones war die erste Heldin, bei der wir Frauen denken konnten: Die ist ja wie wir!“Gunda Windmüller Literaturw­issenschaf­terin

 ??  ?? Mit Pyjama, Ratgeber und Selbstzwei­feln: Renée Zellweger wurde für ihre Darstellun­g oscarnomin­iert
Mit Pyjama, Ratgeber und Selbstzwei­feln: Renée Zellweger wurde für ihre Darstellun­g oscarnomin­iert

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