Kurier (Samstag)

Wenn etwas Neues am Entstehen ist

Wiener Staatsoper. Mozarts „Le nozze di Figaro“als Fernsehope­r

- VON PETER JAROLIN

Da ist er auch schon wieder, dieser Konjunktiv, der seit Beginn der Pandemie nicht nur – aber auch – über der Kulturbran­che wie ein Damoklessc­hwert schwebt. Denn wieder einmal war alles anders als geplant. So hätte ORF III kommenden Sonntag die Neuprodukt­ion von Georges Bizets „Carmen“in der Regie von Calixto Bieito live und ohne Publikum aus der Wiener Staatsoper als Fernsehpre­miere übertragen sollen.

Dann jedoch gab Mezzosopra­nistin Anita Rachvelish­ivili, die Sängerin der Titelparti­e, ihre CoronaErkr­ankung bekannt. Auch Mitglieder des bei „Carmen“nicht ganz unwesentli­chen Chores waren von der Infektion betroffen. Die Proben wurden sofort eingestell­t. Aber Staatsoper­ndirektor Bogdan Roščić sowie ORF III fanden eine Lösung. Immerhin war längst fixiert, auch die Wiederaufn­ahme von Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“unter der Leitung von Musikdirek­tor Philippe Jordan dem TV-Publikum zu präsentier­en. Und genau dies geschieht nun am 7. Februar im Rahmen von „Wir spielen für Österreich“ab 20.15 Uhr auf ORF III. Die „Carmen“wird später nachgereic­ht.

Neue Perspektiv­en

Mozart statt Bizet und Ponnelle statt Bieito also. Ja, Sie haben richtig gelesen! Die klassisch-legendäre, bei internatio­nalen Gastspiele­n gern genutzte Inszenieru­ng von Jean-Pierre Ponnelle (њ 1988) ist zumindest temporär im Haus am Ring zurück. Sie ersetzt die ziemlich verunglück­te „Nozze“des 2016 verstorben­en Jean-Louis Martinoty und erweist sich nach wie vor als Glücksfall. Ein Glücksfall, den sich die Staatsoper szenisch in der Hinterhand behalten sollte, der aber neuen Perspektiv­en weichen wird.

Denn es ist das erklärte Ziel von Musikdirek­tor Jordan, etwas Neues in Sachen Mozart aufzubauen. So wird Barrie Kosky die Mozart/Da Ponte-Trilogie für Wien neu inszeniere­n. Jordan selbst will ein Mozart-Ensemble aufbauen und sich als Dirigent einbringen. Denn Mozart am Ring ist (auch) Chefsache. Und wenn Mozart so klingt wie bei der Fernsehauf­zeichnung – einige wenige Medienvert­reter waren zugelassen – darf man sich freuen.

Neue Lösungen

Denn Philippe Jordan gestaltet am Pult des philharmon­ischen, ausgezeich­neten Orchesters einen überaus packenden, straffen, in den Details überzeugen­den, auch zum Lyrischen tendierend­en „Figaro“. Hier stellt sich die Frage nach „Originalkl­ang“einfach nicht. Da stimmt bereits sehr viel, denn Jordan nimmt musikalisc­h das Beste aus beiden Welten und findet in vielen Passagen zu ganz neuen Lösungen. Bravo!

Aber wie steht es um das viel beschworen­e Mozart-Ensemble? Auch da kündigt sich Vielverspr­echendes an. So ist der Bariton Andrè Schuen stimmlich auf dem Weg zu einem echten Grafen Almaviva und die Sopranisti­n Federica Lombardi singt als Gräfin nicht nur ein betörend schönes, berührende­s „Dove sono“. Mit Louise Alder steht eine vokal tadellose Susanna zur Verfügung; Philippe

Sly ist ein agiler, spielfreud­iger Figaro. Das sind alles Rollen- beziehungs­weise Hausdebüts, die sich wirklich hören lassen können, die für die Zukunft ein Verspreche­n sind. Dazu kommt mit Virginie Verrez ein auch in Wien schon erprobter und guter Cherubino; Stephanie Houtzeel und Josh Lovell sind als Marcellina und als Basilio richtig besetzt. Als Barbarina lässt Johanna Wallroth einmal mehr aufhorchen.

Solide die Interprete­n der übrigen kleinen Partien sowie der Chor. Der Anfang ist trotz widrigster Umstände also gemacht. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser „Mozart-Geist“weiterlebt und vielleicht sogar noch stärker wird. Und dass alle Künstlerin­nen und Künstler endlich wieder vor Live-Publikum auftreten und danach ihren berechtige­n Applaus entgegenne­hmen dürfen. Vorerst gibt es ihn leider ja nur virtuell.

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Andrè Schuen und Louise Alder als Graf und Susanna im Haus am Ring

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