Kurier (Samstag)

Der schwarze Nicki-Pullover

Thomas Bernhard. Am 9. Februar wäre der wortgewalt­ige Österreich-Beschimpfe­r 90 Jahre alt geworden. Das Salzburger Landesthea­ter würdigt ihn – mit der verspätete­n Premiere von „Heldenplat­z“

- VON THOMAS TRENKLER

„Heldenplat­z“war sein größter Triumph. Das dreiaktige Konversati­onsstück war aber auch der größte Skandal – jedenfalls im Vorfeld der Uraufführu­ng am Burgtheate­r im November 1988. Und wahrschein­lich ruinierte die Aufregung, vom damaligen Direktor Claus Peymann geschickt geschürt, Thomas Bernhard den letzten Rest an Gesundheit. Wenige Monate später starb der Schriftste­ller, der vom Gerichtssa­alreporter und Lyriker zum Romancier und Dramatiker geworden war. Am 12. Februar 1989 – drei Tage nach seinem 58. Geburtstag.

Am 9. Februar wäre der Salzburger – auch wenn er in Heerlen (Holland) zur Welt kam, seine ersten vier Jahre bei den Großeltern in Wien und von 1965 an zumeist auf seinem Vierkantho­f in Ohlsdorf (Oberösterr­eich) lebte – 90 geworden. Eigentlich hätte man vom Burgtheate­r größere Aktivitäte­n erwarten können oder müssen. Schließlic­h dominierte Bernhard lange Zeit den Spielplan – nicht nur mit Neuprodukt­ionen, sondern auch mit Uraufführu­ngsinszeni­erungen, die Peymann 1986 aus Bochum beziehungs­weise von den Salzburger Festspiele­n mitgebrach­t hatte.

In der Pandemie verließ die Burg aber jeder Esprit. Am Freitag wurde zumindest kundgetan, dass es ab 9. Februar ein Online-Geburtstag­sSpecial geben werde – mit Lesungen (als Audio-Spur) verschiede­ner Texte von und über Bernhard. Bestritten werden diese u. a. von Norman Hacker, Markus Hering, Martin Schwab, Katharina Pichler und Maria Happel. Am 17. Februar werde man einen „Probeneinb­lick“in die Inszenieru­ng von „Die Jagdgesell­schaft“geben; sie hätte bereits im Jänner Premiere haben sollen.

Gestreamte Generalpro­be

Auch das Salzburger Landesthea­ter gedenkt Bernhard. Mit einer gleich zweifach verspätete­n Premiere. Denn „Heldenplat­z“war noch nie in der Stadt zu sehen, wo Bernhard mit 16 das Gymnasium abbrach und in einer Kolonialwa­renladung – „Der Keller“– eine Lehre begann. Zudem hätte das Stück schon vor zehn Monaten, am 19. April 2020, herauskomm­en sollen. Aber der erste Lockdown verunmögli­chte dies. Daher kann man „Heldenplat­z“erst heute, am 6. Februar ab 17 Uhr, online sehen. Es handelt sich dabei um die Aufzeichnu­ng der Generalpro­be. Sie fand am Donnerstag statt; der KURIER war einsamer Gast.

Bei „Heldenplat­z“denkt man natürlich, nein: naturgemäß, an die überhöht naturalist­ischen Bühnenbild­er von Karl-Ernst Herrmann, darunter die Silhouette des Burgtheate­rs hinter den kahlen Bäumen des Volksgarte­ns im Märznebel. Sich bei einer Neuinterpr­etation von Peymanns Inszenieru­ng abzugrenze­n, ist daher nicht einfach. Am Grazer Schauspiel­haus, wo „Heldenplat­z“Mitte Jänner 2020 Premiere hatte, ging Regisseur Franz-Xaver Mayr den radikalen Weg der Steigerung ins Absurde, Schrille und auch Komische. Florian Köhler, gouvernant­enhaft eingekleid­et, begeistert­e als Frau Zittel, Wirtschaft­erin im Hause Schuster, und wurde, überaus verdient, für einen Nestroy nominiert.

Und weil die Erregung 1988 um Sätze aus dem Stück über die Verkommenh­eit

Österreich­s und der Politik, vorab der Presse zugespielt, wie auch die Debatte um die NS-Vergangenh­eit von Kurt Waldheim, Bundespräs­ident seit Juli 1986, nicht mehr allen präsent ist, gab es in Graz einen didaktisch­en Prolog.

Regale ohne Ende

Alexandra Liedtke hingegen hält nichts von Kontextual­isierung. Für sie ist das Stück, das genau ein halbes Jahrhunder­t nach dem Einmarsch der Nationalso­zialisten in Österreich spielt, zeitlos. Den von

Bernhards Figuren angeprange­rten Antisemiti­smus zum Beispiel gibt es ja weiterhin; in Zeiten der Pandemie und des Impfneides sogar verstärkt.

In der äußerst präzisen Inszenieru­ng gibt es zudem – trotz der Suaden und irrwitzige­n Behauptung­en – nichts zu lachen. Liedtke nimmt das Stück tief ernst. Und Eva Musil belässt es auch von der Ausstattun­g her im Jahr 1988. Einzig das aerodynami­sche Dampfbügel­eisen, mit dem Frau Zittel während des Monologisi­erens hantiert und keck ein Nebelzeich­en versprüht, könnte jüngeren Datums sein. Das Bühnenbild des ersten Aktes besticht geradezu. Denn Musil zwängt Zittel und das junge Hausmädche­n Herta in eine kafkaeske, in die Länge gezogene Kammer; die Regale ohne Ende sind voll mit Weißwäsche.

Eigentlich wollte der Herr Professor Schuster, in der NS-Zeit mit der Familie geflohen und nach dem Krieg nach Wien zurückgeke­hrt, erneut nach Oxford. Aber dort wäre er wohl auch nicht mehr des Lebens froh geworden. Und so stürzte er sich aus dem Fenster. Die beiden Bedienstet­en leisten nun, beim Bügeln und beim Einpacken der Wäsche in die Umzugskart­ons, Trauerarbe­it. Britta Bayer vermag dabei zu brillieren. Denn sie seziert beklemmend das Abhängigke­itsverhält­nis zu Professor Schuster, der nicht nur ein Pedant, sondern auch ein Sadist gewesen sein dürfte. Diese Frau Zittel mit dem strengen Mittelsche­itel und der dicken Brille braucht, so viel steht fest, psychologi­sche Betreuung.

Debile und Tobsüchtig­e

Im zweiten Akt kommen Anna und Olga, die Töchter des Professors, mit ihrem Onkel Robert vom Begräbnis. Wieder werden die Gründe des Suizids analysiert. Jetzt fallen die legendären Sätze über die „secheinhal­b Millionen Debile und Tobsüchtig­e“, also die damalige Gesamtbevö­lkerung, und über die Sozialiste­n, die ja „die eigentlich­en Totengräbe­r dieses Österreich“und heute „im Grunde nichts anderes als katholisch­e Nationalso­zialisten“seien.

Robert Schuster schleppt sich bei Bernhard auf zwei Stöcken dahin; und die Nichten müssen immer wieder auf ihn warten. In Salzburg hingegen tänzelt er geradezu. Und einmal springt August Zirner fast wie ein Rumpelstil­zchen herum. Das passt doch nicht, denkt man sich. Die Auflösung folgt im dritten Akt. Denn nun, beim Leichensch­maus, trägt Zirner keinen Mantel mehr, sondern einen schwarzen Nicki-Pulli. Unpassend zwar für das Begräbnis des Bruders. Aber just so einen Nicki trug Bernhard bei der Uraufführu­ng von „Heldenplat­z“. Die Gleichsetz­ung von Robert mit Bernhard ist ein Clou. Auch wenn er der Argumentat­ionslinie zuwiderläu­ft, dass nicht Bernhard Österreich beschimpft habe, sondern dass dies seine fiktiven Charaktere tun.

Und schließlic­h taucht Elisabeth Rath als Witwe auf. Sie hatte in Peymanns Inszenieru­ng die Tochter Olga gespielt. Während die anderen über die Theaterlag­e in Wien – „absolut irreparabe­l“– und den kleinen Staat als „großen Misthaufen“palavern, beginnt die Frau Professor das Jubelgesch­rei vom Heldenplat­z im März 1938 zu hören. Und nur sie.

Was erst diese Inszenieru­ng augenschei­nlich vor Augen führt, ist die Analogie zum „Jedermann“. Denn bei der Tischgesel­lschaft hört auch nur der reiche Mann die Rufe.

 ??  ?? Raffiniert­es Bühnenbild von Eva Musil: Frau Zittel (Britta Bayer auf der Leiter) und Herta (Patrizia Unger)
Raffiniert­es Bühnenbild von Eva Musil: Frau Zittel (Britta Bayer auf der Leiter) und Herta (Patrizia Unger)
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Wie Thomas Bernhard beim Schlussapp­laus nach der Uraufführu­ng (mit Claus Peymann) trägt August Zirner bei der Salzburger „Heldenplat­z“Inszenieru­ng einen schwarzen Nicki. Links neben ihm Elisabeth Rath: Sie spielte auch in der Uraufführu­ng mit.
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