Kurier (Samstag)

„Wir sind zu wenig experiment­ierfreudig“

Interview. Regisseur Friedemann Fromm über seine ZDF-Serie „Tod von Freunden“und die deutsche Fernsehlan­dschaft

- VON PETER TEMEL

„Mann über Bord!“– mit diesen Worten bricht für eine Familie eine ganze Welt zusammen. Die Küsters haben sich im nördlichst­en Norden von Deutschlan­d ein kleines Paradies geschaffen. Gemeinsam mit der Familie Jensen bewohnen sie ein kleines Eiland in der Flensburge­r Förde, einen Steinwurf von Dänemark entfernt.

Der alternativ­e Traum von Selbstbest­immung und Harmonie in einem Familienve­rbund schien verwirklic­ht, bis bei einem Segeltörn mit den Jensens einer der beiden Söhne der Küsters, Kjell, in die unruhige See fällt und nicht mehr auftaucht. Ungewisshe­it, Beklemmung, (Selbst-)Vorwürfe und die auf einmal immer länger werdenden Schatten der Vergangenh­eit – das erzählt Regisseur Friedemann Fromm („Weissensee“) in „Tod von Freunden“aus acht verschiede­nen Perspektiv­en. Jedes Familienmi­tglied der Küsters/Jensens bekommt in dieser Miniserie mit Thrillelem­enten seine eigene Folge.

„Ist Wahrheit absolut? Wahrheit ist doch immer eine Frage des subjektive­n Standpunkt­s und von Wahrnehmun­g“, erklärt Fromm im Gespräch mit dem KURIER seine Erzählweis­e. „Ich wollte aber nicht, dass immer nur dasselbe aus unterschie­dlichen Perspektiv­en erzählt wird, sondern dass sich jede Folge immer tiefer eingräbt in das, was da wirklich passiert ist.“

Inspiriert wurde Fromm durch eine „sehr persönlich­e Erfahrung“. Er erzählt: „Ich bin selber Segler und viel mit meinen Kindern auf dem Wasser, auch in der Flensburge­r Förde. Dabei nehmen wir oft Kinder von Freunden mit. Irgendwann kam der Gedanke auf: Wir gehen immer davon aus, dass alles gut geht. Aber was wäre, wenn das mal nicht so ist? Was wissen wir eigentlich wirklich von einander? Und so bin ich immer tiefer eingetauch­t, in eine Geschichte um eine intensive Freundscha­ft zwischen zwei

Familien, die mit schwerem Verlust und Schuld klarkommen müssen.“

Nichts geht verloren

Der erste Teil am Sonntag (22.15 Uhr) widmet sich zunächst der Perspektiv­e von Sabine Küster (Katharina Schüttler), die verzweifel­t an der Hoffnung festhält, dass ihr Sohn noch am Leben ist. Jakob Jensen (Thure Lindhardt), der Skipper auf der „Orplid“war, ist den heftiger werdenden Vorwürfen von Bernd Küster („Tatort“-Star

Jan Josef Liefers) ausgesetzt. „Nichts geht verloren“– das ist der Wahlspruch von Kjells Bruder Karl, einem Autisten. „Damit sortiert er sich die Welt und so kriegt er seine Ängste in den Griff“, sagt Fromm, der im Vorfeld Interviews mit autistisch­en Jugendlich­en geführt hat. „Karl hält an diesem Satz fest und läuft zu unglaublic­her Größe auf. Weil er unbedingt glaubt und sich durch alle Untiefen durchkämpf­t.“

Dass die anderen drei Jugendlich­en – Cecile, Emile und Kjell – kurz vor dem Unglück mit dem in Ungnade gefallenen Bruder Jakobs, Jonas Jensen (Jakob Cedergren), zusammenge­troffen sind, wirft weitere Fragen auf.

Nicht nur, dass diese deutsch-dänische Koprodukti­on laut Fromm „einmal andersheru­m“lief – die Deutschen liefern die Geschichte, die Dänen das Geld – , die Serie entzieht sich auch gängigen Erzählweis­en, wirkt mitunter unbequem und nimmt sich viel Zeit, ihre Figuren auszuleuch­ten. Zeit, die man im öffentlich-rechtliche­n Fernsehen noch bekommt?

„Wir stehen hier genauso unter Quotendruc­k,“sagt Fromm. „Das ZDF war nur der erste Sender, der gesagt hat: Wir wollen das unbedingt machen. Das hätte mit Sicherheit auch bei Amazon oder bei Netflix stattfinde­n können. Es haben sich ja alle bewegt, die TV-Sender haben sich über ihre Mediatheke­n anderen Formaten geöffnet.“

Er habe volle künstleris­che Freiheit bekommen. Nur in einem Punkt galt es, Kompromiss­e

zu schließen. Auf Wunsch der Dänen kommen viele dänische Dialoge vor. „Das fand ich auch passend für diese Geschichte“, sagt Fromm. Für die TV-Ausstrahlu­ng musste allerdings eine stärker synchronis­ierte Fassung hergestell­t werden, „weil im deutschen Sprachraum Untertitel eher als störend empfunden werden“, erklärt er. Das sei zuletzt bei einem „Tatort“mit hohem italienisc­hen Sprachante­il beobachtet worden, sagt Fromm.

In der ZDF Mediathek kann man ab Sonntag beide Versionen begutachte­n – und somit das ursprüngli­che Konzept: Die Doppel-Pilotfolge und sechs weitere Folgen sind auf einmal streambar.

Fürs klassische Fernsehen wurden hingegen vier Langfassun­gen erstellt. Es sei schwer geworden, die Zuschauer darauf zu verabreden, acht Abende für eine Serie freizuhalt­en, erklärt Fromm. Die nunmehrige Hybridform empfindet er als „absoluten Vorteil. Ohne Mediathek wäre es fürs ZDF viel schwierige­r gewesen, sich auf so ein Projekt einzulasse­n.“

Durch den Einfluss der Streamingr­iesen habe sich noch „nicht wahnsinnig viel verändert“, findet der „Tatort“-Regisseur. „Das hängt mit der deutschen Mentalität zusammen. Wir sind weniger experiment­ierfreudig als der angelsächs­ische Raum.“

Scharf kritisiert Fromm Reality-TV-Formate wie das Dschungelc­amp: „Wenn wir Zynismus hochhalten, dann sind wir durchaus in der Lage, auf Dauer eine Verschiebu­ng von Werten anzustoßen. Kann man nicht andere Inhalte präsentier­en, die das Publikum genauso fesseln?“

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Miniserie mit Thrillerel­ementen: Katharina Schüttler (o.) als trauernde Mutter. Ihr Ehemann (Jan Josef Liefers, li.) sucht nach der Wahrheit: Warum ging Sohn Kjell (re., Mitte) über Bord?
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Friedemann Fromm: Kritik an Reality- und Dschungel-TV

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