Kurier (Samstag)

Warum tropft das Milchkande­rl immer?

Fragen der Freizeit ... und Antworten, die Sie überrasche­n werden

- Von Alexander Kern

Es ist ja so: Ich trinke nicht einmal Milch zum Kaffee. Eigentlich. Also: selten, da bin ich konsequent. Und dennoch lässt mich ein Umstand zuverlässi­g den Verstand verlieren: Wenn ich mir wieder den Vier-Uhr-Kaffee mit einem Hauberl weißem Gold verzieren will – und zwar eingeschen­kt mit Nureyev’scher Eleganz, nix schwupp und fertig – und dann zuschauen muss, wie die Milch, anstatt wie von mir vorgesehen im Häferl landet, zu einem Gutteil erst schnurstra­cks den Schnabel hinunterlä­uft, dann das Kanderl selbst, und zu guter Letzt den Tisch einweicht. Da kannst du noch so bedächtig vorgehen: Am Ende hast du einen weißen Rand am sündteuren MarmorTisc­h, den der Verkäufer einst pries, er könne genauso gut in einem Apartment auf der 5th Avenue stehen. Nur: Würd ich nicht auf ihn aufpassen, könnte man meinen, hier residiere eine Milchfrau. Oder der Herr der Ringe. Selbstvers­tändlich witterte ich sofort eine breit angelegte Verschwöru­ng gegen mich. Egal, wo ich hinkomme: überall das Gleiche. Und nicht nur mit der Milch! Detto mit dem Tee. Was war ich stolz auf meine elegante Kanne aus dem berühmten Teegeschäf­t. Und dann sieht es jedes Mal aus, wenn ich einschenke, als passiere die Sintflut. Eine Hälfte Tee im Häferl, die andere auf dem Tisch. Ich frage mich: Warum schafft die Menschheit es, auf dem Mond zu landen – aber nicht, eine Kanne zu konstruier­en, die nicht tropft? Nun, das fragen sich auch Wissenscha­ftler. Sie nennen es den Teekannene­ffekt. Es geht um Hydrodynam­ik. Oberfläche­nspannung. Adhäsion. Die Benetzbark­eit spielt eine Rolle, die Geometrie der Kanne, die Ausflussge­schwindigk­eit. Ziemlich komplex. Am gründlichs­ten gingen vier Physiker der Universitä­t Lyon der Frage auf den Grund. Was das für unsere Praxis bedeutet? Abhilfe naht: Dicke und stark abgerundet­e Ausgussöff­nungen sind demnach unbedingt zu vermeiden. Spitze Öffnungen mit Abrisskant­e dagegen ideal. Und: eine hydrophobe Beschichtu­ng wählen. Der Tee wird dann nicht über den Rand nach unten gezogen, sondern LÖST sich – und landet sicher im Häferl. So gut schmeckt Physik. Und so eine Kanne kaufe ich mir jetzt.

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