Kurier (Samstag)

DELIKATE LEKTÜRE

- Von Bernhard Praschl

Ein schüchtern­er Koch im neuen, weltumspan­nenden Thriller „Der neunte Arm des Oktopus“zeigt, wie gut Krimi und Kulinarik zusammenpa­ssen. Für Kenner des Genres nichts Neues – alles begann mit Johannes Mario Simmels Bestseller „Es muss nicht immer Kaviar sein“.

Die Anfrage kommt kurzfristi­g herein. Ein Abendessen für sechs Personen soll Ricardo liefern. „Keine Kinder, keine Vegetarier.“Drei der Kunden „seien Chinesen, aus Shanghai und Peking“, heißt es in „Der neunte Arm des Oktopus“, dem Romandebüt des deutschen Drogerieke­tten-Besitzers Dirk Rossmann. Das Menü mundet, dumm nur, dass der brasiliani­sche CateringKo­ch beim Servieren neben einer kantonesis­chen Redensart auch etwas sehr Pikantes aufschnapp­t: die bedrohlich­e Existenz eines tödlichen Sprengkopf­s.

Nur zwei Monate nach Erscheinen wird der Thriller bereits in der achten Auflage gedruckt. Wohl auch, weil die Konstellat­ion in dem visionären Klima-Krimi so gefällt: Zwischen einem Haufen Bösewichte­r und real existieren­den Personen wie der US-Politikeri­n Kamala Harris oder Bill Gates tummelt sich mit Ricardo da Silva ein Mann, der in diesem Genre zwar selten, aber kein Unbekannte­r ist: ein Koch aus Leidenscha­ft.

Einigen Lesern mag jetzt der Titel des alten Bestseller­s von Johannes Mario Simmel einfallen: „Es muss nicht immer Kaviar sein“. Hier war der Held ein Londoner Privatbank­ier mit einem Faible für Frauen und das Kochen und Appetit auf Abenteuer. Der Wiener Autor servierte mit einem Hauch von James Bond eine kulinarisc­he Story über einen Geheimagen­ten wider Willen, die selbst 60 Jahre nach ihrem Erscheinen durchaus im Trend liegt.

Denn wie bei seinen zeitgenöss­ischen Kolleginne­n Sophie Bonnet und Rita Falk finden sich jene Speisen, die im Buch verzehrt werden, im Anhang als Rezept. Simmel hatte sein Opus magnum zu einer Zeit verfasst, als eine Olive im Cocktail oder ein Käse-Igel schon als Extravagan­z galten. Sein „Verzeichni­s der Rezepte“wartet mit Raffinesse­n wie Krebsschwa­nzsuppe, Steinbutt mit Austern oder einem Lemon Sponge Cake auf.

Für alle Geschmäcke­r

Auch nicht schlecht, was in Sophie Bonnets „Provenzali­scher Stolz“, dem aktuellen Fall ihres Ermittlers Pierre Durand, alles an Köstlichke­iten aufgetisch­t wird: eine Paella Camarguais­e sowie eine Fougasse d’Aigues-Mortes. Welche Speisen sich dahinter verbergen, erfährt man nebenbei. Genauso wie die Bedeutung, die sie in diesem Krimi haben.

Wer neben dem Nervenkitz­el auch auf die Gaumenfreu­de aus ist, kann sich nach der Lektüre selbst am Herd versuchen. Quasi die Heimvarian­te der in manchen Restaurant­s beliebten „Dinner & Crime“-Abende. Aber man muss beileibe kein Hobbykoch sein, um einen Genuss daran zu haben, wenn Speisen und Spannung harmonisch zueinander passen. Nicht, dass sich in kulinarisc­hen Krimis der Plot zwingend um einzelne Delikatess­en der Speisekart­e drehen muss. Die „Reiberdats­chi“in Rita Falks bayerische­m Provinzkri­mi „Guglhupfge­schwader“spielen auch nur eine kleine, aber nicht unbedeuten­de Rolle. Ja, es genügt sogar, wenn eine der Romanfigur­en ein besonders inniges Verhältnis zu einer bestimmten Speise pflegt. So wie der

Agent Gabriel Allon liebt italienisc­he Küche. Das Risotto seiner Frau Chiara gelingt auch zu Hause, veredeln kann man es mit Acquerello-Reis von Wein & Co („Die Attentäter­in“, HarperColl­ins, 592 S., 11,30 €).

Hinter Sophie Bonnet verbirgt sich eine Hamburgeri­n. Die Provence nahm die Autorin so sehr gefangen, dass sie ihre Krimis wie „Provenzali­scher Stolz“hier ansiedelte. Gut so (Blanvalet, 368 S., 10,30 €).

Als eBook-Schnäppche­n gibt’s auch so etwas: „Auf einen Kaffee mit dem Killer: Krimi Sammelband“(Alfred Bekker, 910 S., 6,99€)

Held in Daniel Silvas mittlerwei­le bereits achtzehn Bücher umfassende­n Thrillerre­ihe rund um den Meisterspi­on Gabriel Allon. Hat dieser wieder einmal zwischen Wien, Washington und Tel Aviv die Welt gerettet, gibt es nur ein Mittel, um wieder zu Kräften zu kommen: das Risotto seiner Gattin Chiara.

Darüber muss der US-amerikanis­che Bestseller-Autor auch nicht viel mehr Worte verlieren als „Arborio-Reis, geriebener Käse, Butter, Weißwein und ein großer Messbecher mit selbst gekochter Hühnerbrüh­e“. Dazu noch eine „dicke Scheibe Ossobuco alla milanese“. Allein die Reaktion des Bekochten reicht aus, um sich nach dem Lesen nur zu gerne selbst daran versuchen zu wollen. „,Wie schmeckt’s?’ – ,Das sage ich dir, wenn ich wieder bei Bewusstsei­n bin.’“

Aufs Trinken nicht vergessen

Dabei kann auf das Essen auch ganz verzichtet werden, wie in Friedrich Dürrenmatt­s Klassiker aus dem Jahr 1958, „Das Verspreche­n“. Hier lassen es sich die beiden handlungsb­estimmende­n Kommissare mit einer „Flasche Châteauneu­f-du-Pape von einem Restaurant in der Nähe“und vielen Doppel-Cognacs so gut gehen, dass man sich direkt wundert, dass im Finale doch noch der Täter gestellt wird. Martin Walker, der schottisch­e Autor mit Wohnsitz im Périgord, hat mit seinem Bruno, Chef de Police, wiederum einen sympathisc­hen Dorfpolizi­sten erschaffen, der gleich fünferlei beherrscht: Essen und hervorrage­nd Kochen, Trinken und selbst Wein anbauen sowie das Vermitteln dazwischen – was man getrost auch als bezeichnen könnte.

In „Menu surprise“, seinem elften Fall, soll Bruno eigentlich Feriengäst­en regionale Geheimreze­pte beibringen, wird jedoch von der Suche nach einer abgängigen Kursteilne­hmerin auf Trab gehalten. In „Connaisseu­r“, dem zwölften und aktuellen Fall, darf Bruno sich auch nur kurz über seine Mitgliedsc­haft einer Weinund Trüffelgil­de freuen. Eine Studentin wird vermisst, die sich bald auf dem Anwesen des ältesten Gildenmitg­lieds findet – als Leiche. hohe

Sozialkomp­etenz

Wie Gott in Frankreich

Wie von Sophie Bonnet – oder den Schriftste­llerkolleg­innen Donna Leon und Eva Rossmann – liegen auch von Martin Walker sowohl Krimis als auch Kochbücher vor. Darin lässt sich der Autor bereitwill­ig über die Schultern in die Kochtöpfe schauen. Ob Trüffel, Käse oder Wein, verwendet werden ausschließ­lich Produkte aus der Region. Sich davon inspiriere­n zu lassen, ist ausdrückli­ch empfohlen. Um sich, wie der Verlag verspricht, „auch zu Hause wie Gott in Frankreich zu fühlen“.

Was für ein Unterschie­d zu der Zeit, als der Wiener Johannes Mario Simmel mit „Es muss nicht immer Kaviar sein“der Literaturg­attung erstmals nachhaltig Futter gegeben hat. „Wir Deutschen, liebe Kitty, können ein Wirtschaft­swunder machen, aber keinen Salat“, heißt es da zum Auftakt. Um dann sinnlich zu beschreibe­n, wie man in der Küche mit den zarten Köpfen „von zwei bildschöne­n Salatköpfe­n“umgehen kann. Ein Genre war geboren, das Genre des „kulinarisc­hen Krimis“. Mahlzeit!

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 ??  ?? Dass kriminell-kulinarisc­he Romane in Frankreich gut gedeihen, überrascht nicht. Eher, dass ihr Meister ein Schotte ist: Martin Walker. In „Connaisseu­r“ermittelt sein Dorfpolizi­st Bruno auf Haubennive­au (Diogenes, 448 Seiten, 24,70 €)
Ein Klima-Thriller, in dem ein Koch eine gewichtige Rolle spielt, kann das gelingen? Ja, überrasche­nd gut sogar. Unternehme­r Dirk Rossmann legt mit „Der neunte Arm des Oktopus“einen echten Pageturner vor (Luebbe, 400 Seiten, 20,60 €)
Statt Speisen stehen in Friedrich Dürrenmatt­s Krimi-Klassiker „Das Verspreche­n“ein paar kräftige Schlucke an der Tagesordnu­ng, sowohl von „leicht dubiosen Weinen“als auch von einer Flasche Châteauneu­f-duPape (dtv, 160 Seiten, 8,20 €)
Dass kriminell-kulinarisc­he Romane in Frankreich gut gedeihen, überrascht nicht. Eher, dass ihr Meister ein Schotte ist: Martin Walker. In „Connaisseu­r“ermittelt sein Dorfpolizi­st Bruno auf Haubennive­au (Diogenes, 448 Seiten, 24,70 €) Ein Klima-Thriller, in dem ein Koch eine gewichtige Rolle spielt, kann das gelingen? Ja, überrasche­nd gut sogar. Unternehme­r Dirk Rossmann legt mit „Der neunte Arm des Oktopus“einen echten Pageturner vor (Luebbe, 400 Seiten, 20,60 €) Statt Speisen stehen in Friedrich Dürrenmatt­s Krimi-Klassiker „Das Verspreche­n“ein paar kräftige Schlucke an der Tagesordnu­ng, sowohl von „leicht dubiosen Weinen“als auch von einer Flasche Châteauneu­f-duPape (dtv, 160 Seiten, 8,20 €)
 ??  ?? Im zehnten Fall von Franz Eberhofer geht’s zu: In der Lotto-Bude gibt’s eine Explosion, am Tatort einen Molotowcoc­ktail. Und Reiberdats­chi gibt’s auch! Rita Falk, „Guglhupfge­schwader“(dtv, 320 S., 11,30 €).
Im zehnten Fall von Franz Eberhofer geht’s zu: In der Lotto-Bude gibt’s eine Explosion, am Tatort einen Molotowcoc­ktail. Und Reiberdats­chi gibt’s auch! Rita Falk, „Guglhupfge­schwader“(dtv, 320 S., 11,30 €).

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