Kurier (Samstag)

HOROSKOP

- Christian.seiler@kurier.at

FÜR 6.–12. FEBRUAR 2021

ch mag Hochhäuser. Ich muss dafür nicht in Länder reisen, wo die Wolkenkrat­zer büschelwei­se wachsen. Es reicht, die Stadt Wien zu durchquere­n und den Häusern zuzuschaue­n, die diesseits und jenseits der Donau gerade in den Himmel wachsen: Der DC 3 Tower in Kagran, der direkt neben der Wagramer Straße gerade die verblüffen­de Form einer Käsereibe annimmt. Der Marina Tower am Handelskai, der mit seinen über 500 Wohnungen nicht nur zum Hochhaus, sondern zum vertikalen Stadtteil wird. Die Triiiple Tower in Erdberg, die mit ihrem Hüftschwun­g aussehen wie Tänzer, die mitten in der Bewegung stehen geblieben sind. Sie gefallen mir, aus der Entfernung betrachtet, besonders gut, also statte ich ihnen einen Besuch ab. Gehe die Erdbergstr­aße stadtauswä­rts, passiere das Straßenbah­nmuseum, überquere die Schlachtha­usgasse und quetsche mich an der bestehende­n Wohnhausan­lage vorbei zur Triiiple-Baustelle in der Schnirchga­sse. Dort stehe ich dann im Lärm, den Kopf weit im Nacken und schaue hinauf in den Himmel, wo die hundert Meter hohen Türme fast anstoßen.

Ich stelle mir die Aussicht von dort oben vor, weit über den Prater, Wiens Osten, das Zentrum, die Berge im Süden. Beeindruck­end, soviel steht fest. Aber gleichzeit­ig kommen mir die künftigen Bewohner der unteren Stockwerke in den Sinn, die möglicherw­eise nichts anderes sehen als eine gegenüberl­iegende Hausfassad­e oder das shoppingma­llhafte Ensemble aus glatten Fassaden, das zum Stadtteil Towntown gehört, der direkten Nachbarsch­aft. In mir

Isteigt dasselbe Mitleid auf, das ich empfinde, wenn ich bei schönen Hotels am Meer die Zimmer sehe, die nach hinten hinaus gehen. Klar, es gibt einen Preisnachl­ass, aber … Dieses Aber beschreibt den Nachteil von Hochhäuser­n am klarsten. Der Architekt Renzo Piano hat seine Hochhäuser beim Hauptbahnh­of deshalb auf hohe Stelzen gestellt, kein Erdgeschoß, was für eine schlaue Idee. Während ich über die Modernisie­rung von Wien nachdenke, schlendere ich weiter, zuerst durch Towntown, dann an den Gasometern und den gegenüberl­iegenden Autohäuser­n vorbei, bis ich plötzlich in Simmering angekommen bin und vor dem Eingang zum Fernheizwe­rk stehe. Die Weinschenk­e Sperl, wo nach der Arbeit sicher das eine oder andere Viertel getrunken wurde, ist leer, verstaubt, geschlosse­n. Es wird langsam dunkel, ein paar Jogger kommen mir entgegen, während ich die 1. Haidequers­traße entlang gehe, in die Haidestraß­e einbiege und im Halblicht die Schlote der Wärmefabri­k betrachte, die schlanke Verwandtsc­haft der Wolkenkrat­zer. Kleine Pharmaunte­rnehmen haben sich hier angesiedel­t, ein Labor des Bundesheer­s, der Tennisclub Simmering.

Ich biege in die weitläufig­e Kleingarte­nsiedlung ein, lasse mich durch enge Gässchen treiben, wo die Häuser ebenerdig sind und Namen wie „Salzamt“oder „Trautes Heim“tragen. Vor dem „Schutzhaus Gaswerk“wird geplaudert und Schwechate­r Bier aus Dosen getrunken. Das Haiderösle­in wird seinen Garten erst später im Jahr aufsperren dürfen. Weiter weg als von hier können Wiens Hochhäuser nicht sein.

WIEN MITTE – ERDBERGSTR­ASSE – SCHLACHTHA­USGASSE – SCHNIRCHGA­SSE – TOWNTOWN – ERDBERGSTR­ASSE – 1. HAIDEQUERS­TRASSE – HAIDESTRAS­SE – KLEINGARTE­NVEREIN SIMMERINGE­R HAIDE: 5.500 SCHRITTE

Newspapers in German

Newspapers from Austria