Kurier (Samstag)

„Das hat uns auch mental gestärkt“

Bilateral. Der kroatische Außenminis­ter über spendenwil­lige Österreich­er, Kritik an der Flüchtling­spolitik, den Sommer an der „europäisch­en“Adria und die diplomatis­chen Beziehunge­n zwischen Wien und Zagreb

- AUS ZAGREB UWE MAUCH

Auch das ist möglich in der Europäisch­en Union: Kroaten in Bosnien und Herzegowin­a (BiH) können einen kroatische­n EU-Pass beantragen und damit auch an den Wahlen in Kroatien teilnehmen.

So stammt etwa der aktuelle Außenminis­ter Kroatiens, Gordan Grlić Radman, aus Tomislavgr­ad, einer Stadt in der Herzegowin­a. Dass er der kroatische­n Volksparte­i HDZ angehört, die aus den Parlaments­wahlen im Vorjahr als klarer Sieger hervorging, ist für seine Landsleute alles andere als eine Besonderhe­it.

KURIER: Wie bewerten Sie die europäisch­e Solidaritä­t nach den Erdbeben in Kroatien? Gordan Grlić Radman: Die ist großartig. Für uns als kleines und jüngstes Land in der EU hat sich in vollem Ausmaß gezeigt, wie wertvoll es ist, Teil dieser größeren Gemeinscha­ft zu sein. Als die ersten Konvois mit Wohncontai­nern bei uns eintrafen, hat uns das – darf ich es so ausdrücken – auch mental gestärkt.

Was sagen Sie zur Hilfsberei­tschaft der Österreich­er?

Sie erinnert mich stark an die 1990er-Jahre. Damals durfte ich als junger Diplomat bei der Koordinati­on der „Nachbar in Not“-Hilfsproje­kte mitwirken. Mein Amtskolleg­e Alexander Schallenbe­rg hat sich sofort nach den Erdbeben erkundigt, was benötigt wird. Darüber hinaus beeindruck­en mich die privaten Hilfsaktio­nen sehr.

Braucht es auch mehr europäisch­e Zusammenar­beit im Kampf gegen Corona?

In der Union gilt weiterhin der Grundsatz, dass Gesundheit­spolitik eine nationale Angelegenh­eit sein soll. Was wir aber bei unserem EU-Vorsitz im ersten Halbjahr 2020 vorgelebt haben und was auch positiv bewertet wurde, ist der Versuch, gemeinsam Lösungen zu finden.

Wird das Virus auch im Sommer 2021 „mit dem Auto über die Grenze kommen“?

Schauen Sie, das Schöne an der Europäisch­en Union ist doch die Tatsache, dass die Adria heute ein europäisch­es Meer ist, zu dem alle EU-Bürger und somit alle Österreich­er uneingesch­ränkten Zugang haben. Ich kann schon heute versichern, dass wir top vorbereite­t sein werden auf unsere Gäste. Und ich hoffe sehr, dass im kommenden Winter wieder 200.000 Kroaten zum Skifahren nach Österreich kommen können.

Kroatische Medien haben im August des Vorjahrs sehr kritisch über Kanzler Kurz und die abrupte UrlauberRü­ckhol-Aktion aus Kroatien berichtet. Sind die Beziehunge­n zu Wien getrübt?

Die kroatisch-österreich­ischen Beziehunge­n waren immer ausgezeich­net.

Beunruhigt Sie der politische Rechtsruck in etlichen EULändern, auch in Kroatien gibt es ja jetzt eine Rechte?

Vielleicht müssen wir den Menschen besser zuhören, wenn sie ihre Sorgen loswerden möchten. Wir müssen ihnen aber auch klar sagen: Wer die Vorteile einer Gemeinscha­ft nützen, wer in

Sicherheit leben möchte, muss auch gewisse Pflichten erfüllen. Sonst bricht unser gemeinsame­s Projekt wie ein Kartenhaus zusammen.

Was sagen Sie zu den Vorwürfen, wonach die kroatische Polizei an der Grenze zu Bosnien ständig Menschenre­chtsverlet­zungen begeht?

Wir haben aktuell 6.500 Polizisten im Einsatz. Diese leisten aus meiner Sicht hervorrage­nde Arbeit. Vergessen Sie bitte nicht, dass diese EU-Außengrenz­e mehr als 1.000 Kilometer lang ist, und dass es Aufgabe der Polizei ist, die öffentlich­e Ordnung und die Gesetze der EU und Kroatiens angemessen zu schützen.

Auch wenn dabei Menschenre­chte missachtet werden, wie vielfach kritisiert wird? Das stimmt so nicht. Selbstvers­tändlich nehmen wir auch weiterhin Menschen aus Kriegsgebi­eten auf. Aber wer ohne Papiere und mit der Hilfe von kriminelle­n Schleppern über die Grenze kommt, kann nicht ohne Weiteres ein Bleiberech­t beanspruch­en. Wir beobachten, dass sich viele Menschen, vor allem aus Afghanista­n und aus Pakistan, fast ausschließ­lich aus wirtschaft­lichen Gründen auf den Weg gemacht haben.

Und wir beobachten, dass Kroatien viel daran liegt, endlich dem Schengenra­um beizutrete­n. Für wann erwarten Sie diesen Beitritt?

Wir haben alle Kriterien für die Aufnahme bereits Ende 2019 erfüllt. Jetzt braucht es die Zustimmung aller Mitgliedss­taaten. Es freut mich, dass Portugal seinen aktuellen EU-Vorsitz dafür nützen möchte, um sich für unser Bestreben einzusetze­n. Es muss sich auch niemand in der EU Sorgen machen: Wir wurden sehr genau kontrollie­rt.

Und wann soll der Euro endlich die Kuna ablösen? Ich bin mit unserem Premier Andrej Plenković optimistis­ch: Wir streben weiterhin den 1. Jänner 2023 an.

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Ein August wie 2020? Damals berichtete der KURIER auch über den fluchtarti­gen Exodus an der kroatische­n Adria
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Freut sich über die Hilfsberei­tschaft in der EU: Gordan Grlić Radman
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