Kurier (Samstag)

Geimpft, aber weiter einsam

In wenigen Tagen werden fast alle 74.000 Bewohner von Altersheim­en geimpft sein. Aber warum bleiben die Besuchsver­bote?

- VON ELISABETH HOLZER UND CHRISTIAN WILLIM

Maria ist 90, ihr Körper tut nicht mehr recht mit: Seit sie vor ein paar Jahren erblindete und auf einen Rollstuhl angewiesen ist, lebt die Steirerin im Pflegeheim.

Nun ist die betagte Dame aber geistig fit, oder besser: sie ist es noch. „Die Tante verfällt immer mehr, sie verabschie­det sich immer mehr von der Welt“, beschreibt ihre Nichte (Name der Redaktion bekannt). „Ihr Lebenswill­e verschwind­et, sie ist einsam. Das ist zum Heulen und zum Schreien.“

Die Besuchrege­ln des Pflegeheim­es, in dem Maria untergebra­cht ist, sind gemäß der Vorgaben des Bundes strikt: Einmal pro Woche darf ein Bewohner einen Besucher empfangen − für 30 Minuten. Der wiederum muss vorab festgelegt werden: Pro Bewohner sind nur zwei Kontaktper­sonen erlaubt, die sich wöchentlic­h abwechseln dürfen, negative Corona-Tests vorlegen und FFP2-Masken tragen müssen.

Die strengen Vorschrift­en sind der Pandemie geschuldet und sollen helfen, die Ansteckung­en in der besonders verletzlic­hen Gruppe zu senken. „Das verstehe ich alles“, versichert Marias Nichte. „Aber das Heim ist völlig durchgeimp­ft, auch mit der zweiten Impfung. Kann man dann die Maßnahmen nicht lockern?“

Keine Änderung

Das Gesundheit­sministeri­um bedauert und winkt ab: „Bis zum Vorliegen zusätzlich­er Erfahrunge­n müssen die bestehende­n Testprogra­mme und Hygienemaß­nahmen aufrechter­halten werden“, heißt es am Freitag. Die Impfung biete „nach derzeitige­m Wissenstan­d einen Individual­schutz“, doch es sei unklar, ob Geimpfte nicht dennoch das Virus weitergebe­n können. Das sei entscheide­nd, denn: Ein gewisser Teil der Bewohner in Heimen könnte derzeit einfach nicht geimpft werden, etwa aus medizinisc­hen Gründen. „In der Pandemiesi­tuation ist auch zum Schutz dieser Personen die weitere Aufrechter­haltung gewisser Test und Hygienemaß­nahmen erforderli­ch, um eine unbemerkte Ausbreitun­g und Infektion der ungeimpfte­n Bewohner zu vermeiden“, begründet ein Sprecher des Ministeriu­ms.

Auch Virologe Christoph Steininger bremst allzu große Erwartunge­n auf rasche Änderung: „Das Ziel ist, Herdenimmu­nität zu erreichen, dann können wir fix Entwarnung geben.“Das würde zumindest eine Durchimpfu­ngsrate von 70 Prozent voraussetz­en − in ganz Österreich. „In einem Heim lebt nur ein kleiner Teil der Österreich­er, wir brauchen aber die Durchimpfu­ngsrate in der gesamten Bevölkerun­g.“

Tatsächlic­h bereiteten Ärzten und Gesundheit­sexperten die Senioren, speziell jene in Heimen, von Beginn der Corona-Pandemie an die größten Sorgen: 3.426 infizierte oder erkrankte Heimbewohn­er sind seit dem Vorjahr gestorben − das sind 43 Prozent aller Todesopfer, die

mit dem Coronaviru­s in Zusammenha­ng stehen. Gesundheit­sminister Rudolf Anschober berichtete erst kürzlich, dass in 90 Prozent der Heimen bereits geimpft wurde, die Erstimmuni­sierungen seien „weitgehend“erledigt. Er rechnet insgesamt mit einer Impfquote von 80 bis 90 Prozent unter den Bewohnern. Dennoch gibt es auch dort Neuansteck­ungen, etwa in einem steirische­n Heim, in dem erst kürzlich erste Vakzine verabreich­t worden waren.

74.000 Heimbewohn­er

Maria ist bei Weitem kein Einzelfall. Rund 74.000 Senioren leben in den rund 900 Heimen Österreich­s. Die Aussicht auf Erleichter­ungen für Bewohner und Besucher wird aktuell auch durch die ungewisse Lage mit Hinblick auf die Virusmutat­ionen gedämpft. „Die Zeichen stehen nicht auf Öffnung“, sagt Robert Kaufmann, Obmann der ARGE Tiroler Altersheim­e.

Im Bundesland sind wegen der aktuellen Bedrohungs­lage durch die südafrikan­ische Covid-Mutation – gegen die Impfungen vermutlich weniger Schutz bieten – vielmehr Verschärfu­ngen angesagt. Die Heime wurden am Freitag vom Land angehalten, „Besuche auf ein Minimum zu reduzieren“.

Auch wenn sich alle – Bewohner, Angehörige und Mitarbeite­r – nach

Lockerunge­n in den Heimen sehnen würden, steht für Kaufmann fest: „Wir können nicht 20 Meter vor dem Ziel einen Bauchfleck riskieren.“In dem von ihm geleiteten Heim „s’zenzi“in Zirl stand Freitagabe­nd gerade die zweite Impfrunde an. In der ersten Runde ließen sich 90 Prozent der Bewohner das Vakzin verabreich­en. „Ich hoffe, dass es wirkt“, sagt der Heimleiter. Dass weiter Vorsicht geboten ist, zeigt sich für ihn daran, dass es in Tirol erst in jüngster Zeit zwei Ausbrüche in Heimen gab.

Marias Nichte kann die Maßnahmen verstehen, aber nicht die restriktiv­e Handhabung der nötigen Sozialkont­akte. „Warum nur ein Besucher pro Woche, wenn man sich testen lassen muss? Warum nur 30 Minuten und nicht länger? Ich will eine Perspektiv­e vom Minister hören.“Das Warten auf eine hohe Durchimpfu­ngsrate im gesamten Land könne sich bis in den Herbst ziehen, befürchtet die Angestellt­e. „Und da weiß ich nicht, wie viele Leute in den Heimen das noch erleben werden.“

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Die Impfquote in Heimen ist hoch, an den strikten Besuchsreg­eln wird dennoch nichts geändert

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