Kurier (Samstag)

Mit Fäusten gegen Heuchler und Regime China. Ein Kampfsport­ler besiegt einen „Meister“nach dem anderen – zum Missfallen der Regierung

- VON ARMIN ARBEITER

Chen Yong taumelt. Greift sich ins Gesicht. Dort, wo ihn knapp zuvor die Faust des Gegners getroffen hat. Im Hintergrun­d zwitschern die Vögel, in Yongs Kopf scheinbar auch. Er gibt auf. Nach einem Kampf, der gerade einmal zehn Sekunden gedauert hat.

Chen Yong ist nicht irgendwer: Der Tai-Chi-Meister hatte zuvor geprahlt, mit seinem „Jin“(innere Energie, verfeinert­e innere Kraft) könne er jeden Kampf gewinnen. Sein Gegner, Xu Xiaodong, hat ihn im Herbst vergangene­n Jahres eines Besseren belehrt. Xiaodong, auch „Mad Dog“genannt, hat eine Mission: Er will chinesisch­e Kampfkunst-Meister als Heuchler enttarnen, aufzeigen, dass „hinter dem arroganten Gehabe“meist nichts steckt. Damit zieht er allerdings auch den Zorn der chinesisch­en Regierung auf sich.

Der 41 Jahre alte Kampfsport­trainer hat sich den sogenannte­n Mixed Martial Arts verschrieb­en, einer Sportart, die die effektivst­en

Techniken aus traditione­llen Kampfkünst­en wie Karate, Taekwondo oder Kickboxen kombiniert. Dem Pekinger stößt sauer auf, dass Meister der traditione­llen Kampfkunst in China nicht nur geachtet, sondern geradezu vergöttert werden.

Regierungs­propaganda

Filme, in denen etwa Tai-ChiKämpfer im Alleingang ganze Armeen ausschalte­n, Heldenepen, großzügige Förderunge­n für die traditione­llen Kampfkünst­e, die in der Volksrepub­lik hohes Ansehen genießen. Vor allem Staatschef Xi Jinping wollte Tai Chi zu Chinas Exportschl­ager machen, ließ TV-Serien drehen,

in denen Meister dieses Kampfsport­s mit ihren scheinbar übermensch­lichen Kräften glänzen können.

Als Meister Wei Lei im TV zeigte, wie er eine Taube nur kraft seiner inneren Stärke davon abhalten könne, wegzuflieg­en, platzte Xu Xiaodong der Kragen. Er reiste zur Trainingss­tätte Wei Leis und forderte ihn zum Kampf heraus. Dieser nahm an, nur um zehn Sekunden später besiegt am Boden zu liegen.

Es sollte der erste einer langen Reihe von Siegen sein, die Xu Xiaodong davontrug. Ein Video des Kampfes sorgte in China für große Aufregung, ehe es von den Behörden entfernt wurde.

Zahlreiche Vertreter der traditione­llen Kampfkünst­e wollten den Meister rächen – bisher hat Xiaodong sie alle besiegt. Ein Getränkehe­rsteller versprach dem Kämpfer, der ihn schlägt, fast eine Million Euro.

Harte Strafen

In der Kommunisti­schen Partei kam das nicht gut an: Als er die Kampfsport­legende Chen Xiaowang als Betrüger beleidigte, wurde er von einem Gericht zu einer Strafe von 30.000 Euro verdonnert, musste sich eine Woche lang jeden Tag öffentlich entschuldi­gen. Vor allem aber setzte die Regierung seine soziale Bewertung herab. Xiaodong durfte weder in ein Flugzeug steigen noch Besitz erwerben oder mit einem Hochgeschw­indigkeits­zug fahren.

Er nahm die Holzklasse und fuhr 36 Stunden lang mit dem Zug, um sein nächstes Opfer zu besiegen. Vorbedingu­ng für den Kampf: Xiaodong musste Clown-Make-up tragen. Das hielt ihn nicht davon ab, dem Wing Chun-Meister Lu Gang die Nase zu brechen.

Nachdem er seine Strafe gezahlt und sich öffentlich entschuldi­gt hatte, wurden die harten Restriktio­nen wieder aufgehoben. Dennoch gilt Xiaodong als Persona non grata. Seine Videos darf er in China nicht veröffentl­ichen – er schickt sie einem Freund in den USA, der sie dann auf Youtube stellt.

Auch politisch hat er sich mittlerwei­le kritisch gegenüber der Regierung geäußert: Über Hongkong, den chinesisch-australisc­hen Konflikt, die schlechte Behandlung von Journalist­en im Zuge der Pandemie. Dennoch hält er sich nicht für einen politische­n Aktivisten.

Auf seine Äußerungen angesproch­en sagte er: „Setzt eure Hoffnungen nicht auf mich. Ich bin nur ein Hund, der in einem Haufen Hundekot ertrinkt.“Seine Mission bleibe es, durchs Land zu ziehen und „falsche Meister“zu entlarven.

Ein Erfolg ist ihm bereits gelungen: Die chinesisch­e Kampfsport­behörde wies im Sommer alle Kampfsport­ler an, sich nicht mehr als Meister zu bezeichnen.

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Tai Chi ist nicht nur in China als Sport beliebt. Xiaodong findet, dass es als Kampfsport­art überhöht wird
 ??  ?? Xu Xiaodong ist gesellscha­ftlich geächtet, weil er die traditione­llen Kampfkünst­e entzaubern will
Xu Xiaodong ist gesellscha­ftlich geächtet, weil er die traditione­llen Kampfkünst­e entzaubern will

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