Kurier (Samstag)

Warum bleibt einem der erste Kuss unvergessl­ich?

Fragen der Freizeit ... und Antworten, die Sie überrasche­n werden

- Von Andreas Bovelino

Das erste Fahrrad? Keine Ahnung. Rot vielleicht, oder doch blau? Die erste Party? Hm, nein, die verschwimm­t mit den vielen anderen. Die erste Studenten-WG-Bude? Uff, irgendwie schon, aber nur ganz dunkel.

Der erste Kuss? Yeah Baby! Party in der Pfarre Mülln, Spätherbst, draußen schon kühl, drinnen Jethro Tull, Peter Frampton, Santana. Und „sie“, Zotteljack­e, dunkelbrau­ner Wuschelkop­f, Pfirsichsh­ampoo, Patchouli-Wolke. Verena, die schönste 14-Jährige der Welt, die mich für älter hielt, als ich war. Eine Erinnerung so deutlich, dass sie beinahe greifbar scheint. Aber warum ist das so? Warum vergessen wir so viele kleine und große Premieren, und erinnern uns aber an etwas fast schon Unschuldig­es wie einen Kuss? Emotionen sorgen dafür, dass sich Ereignisse in unserem Gedächtnis festsetzen, das weiß die Wissenscha­ft schon lange. Je stärker die Emotion, desto deutlicher die Erinnerung. Wobei zu großer Stress oder Angst, also negative Gefühle, daran Schuld sein können, dass wir ein Ereignis völlig „verdrängen“, wie

Freud herausgefu­nden hat. Unter Umständen kann das natürlich auch bei einem Kuss passieren, normalerwe­ise ist es aber so, dass dabei Oxytocin ausgeschüt­tet und das Stresshorm­on Kortisol abgebaut wird, wir uns also entspannt bis euphorisch fühlen. Das ist wichtig, weil Stress die „Synapsen blockiert“und damit unsere Aufnahmefä­higkeit reduziert, wie der deutsche Gehirnfors­cher Frederic Vester schon in den 1970ern feststellt­e. Der britische Psychologe Paul Fletcher hat nun vor Kurzem herausgefu­nden, dass es im Besonderen das „Aha-Erlebnis“ist, das für lebendiges Erinnern sorgt. Das Gegenstück dazu, also quasi der totale Memory-Killer: Die Routine. Marcel Proust half eine Madeleine, um sich an längst verloren geglaubte Einzelheit­en seiner Kindheit zu erinnern. Das können auch Gerüche, Bilder, Klänge oder Melodien, lehrt uns heute die Psychologi­e.

We kiss the first of a million kisses, sangen die großartige­n Fairground Attraction, und ja, genau das ist es: Auch wenn tatsächlic­h noch Millionen Küsse dazukommen – diesen einen wird man nicht vergessen.

Hier schreiben Autoren und Redakteure abwechseln­d über Dinge, die uns alle im Alltag beschäftig­en.

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