Straßenkampf
Die grüne Umweltministerin pokert hoch und hat vom Kanzler abwärts fast alle gegen sich
Mit einer einzigen Weisung hat Verkehrsund Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) alle neun Bundesländer gegen sich aufgebracht. Sie verordnete der Asfinag die Evaluierung aller Straßenbauprojekte, bei denen die Bagger noch nicht aufgefahren sind. Der Aufschrei in den Landeshauptstädten war groß, nachdem diese Aktion zufällig an die Öffentlichkeit gelangt war. Gehör finden die Proteste bei Bundeskanzler
Sebastian Kurz (ÖVP), der sich beim Auftakt seiner Tour durch ganz Österreich in dieser Frage gegen die Ministerin stellte.
Der Kanzler verweist dabei auf die Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. Danach sei klar gewesen, dass Straßenprojekte, die bereits genehmigt oder gerade in einem Genehmigungsverfahren sind, durchgezogen werden. „In dieser Frage bin ich auf der Seite der Regionen, der Bundesländer“, sagt Sebastian Kurz. Eine gute Infrastruktur sei vor allem für den ländlichen Raum „lebensnotwendig“. Und: „Sonst haben wir den Trend der totalen Urbanisierung, wenn wir keine gute Infrastruktur anbieten können.“
Einstimmiger Beschluss
Klimaschutz sei zwar eine entscheidende Zukunftsfrage, die aber nicht nur durch das Absagen von Projekten gelöst werde. Kurz: „Wir müssen technologisch besser werden. Klimaschutz wird nicht durch ein Zurück-in-dieSteinzeit funktionieren.“Das Produzieren von Verkehrsstaus sei genauso umweltfreundlich.
Vom vorläufigen Baustopp sind zentrale Projekte wie die Marchfeld-Schnellstraße S8, der Lückenschluss des Ringes um Wien mit der S1 und dem Lobautunnel oder die Mühlviertler Schnellstraße S10 betroffen (siehe oben). Für die Bundesländer haben deren Wirtschaftsvertreter von ÖVP und SPÖ bei einer Konferenz in Bad Aussee die Ministerin einstimmig aufgefordert, die Weisung an die Asfinag zurückzunehmen. Für Kurz nicht war „diese Reaktion der Bundesländer sehr eindeutig“.
Ministerin Leonore Gewessler hat mittlerweile schon deutlich gemacht, dass am Ende der Evaluierung für manche Projekte das Aus stehen kann. Die Bundesländer erwarten sich jetzt, dass die Ministerin das Gespräch sucht. Ludwig Schleritzko (ÖVP), Verkehrslandesrat in Niederösterreich: „Also ich glaube schon, dass die Ministerin gut beraten ist, hier auf die Bundesländer zuzugehen und das mit uns ordentlich auszusprechen.“Bei einem
Gesprächstermin im Ministerium, bei dem neben Schleritzko auch noch der Wiener Stadtrat Peter Hanke und der burgenländische Landesrat Heinrich Dorner, beide SPÖ, dabei waren, ging die Ministerin auf das Thema nicht wirklich ein.
Kanzler Sebastian Kurz ist dennoch zuversichtlich, dass sich der Konflikt bereinigen lässt: „Ich bin optimistisch, weil am Ende des Tages geht es um den Hausverstand.“Was Bernhard Ebner, ÖVPAbgeordneter und Landesgeschäftsführer in NÖ, mit
dem Nachsatz ergänzte: „Auch Elektroautos brauchen eine Straße.“Gleichzeitig versicherte er, dass Niederösterreich weiter an der S8 festhalten werde.
Rechtliche Schritte
Im Hintergrund wird mittlerweile darüber diskutiert, welche rechtliche Schritte möglich sind, falls Umweltministerin Gewessler die Straßenprojekte tatsächlich streicht. Immerhin habe es jahrelange Vorarbeiten gegeben, und ein Baustart war von der Asfinag bereits in Aussicht gestellt worden. Offen ausgesprochen hat das bis jetzt nur Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) im Hinblick auf den Lobautunnel für die Schnellstraße S1.
Dass der von Leonore Gewessler angeordnete Baustopp die Koalition belastet, wurde am Freitag im Parlament deutlich. Da war die
FPÖ mit einem Antrag in den Verkehrsausschuss gekommen, in dem die Ministerin aufgefordert wird, die Anordnung an die Asfinag wieder aufzuheben. Der Text war ident mit jenem eines Dringlichkeitsantrages, der eine Woche zuvor im Landtag in Niederösterreich von der ÖVP eingebracht und mehrheitlich beschlossen worden war. Auf Bundesebene stimmten die ÖVP-Nationalratsabgeordneten dagegen, um nur ja nicht den Koalitionsfrieden im Parlament zu gefährden.
Die SPÖ wertete dieses Verhalten als einen innerparteilichen Schlag gegen die blau-gelbe Landes-ÖVP. Die habe auf Bundesebene nichts mehr zu sagen. In St. Pölten erklärten ÖVP-Vertreter dazu, dass man für die schwierige Koalitionssituation Verständnis habe. Dennoch werde man weiter gegen Gewesslers Vorgangsweise ankämpfen.