Kurier (Samstag)

Wenn ein Ring zur Sackgasse wird

- VON RICHARD GRASL richard.grasl@kurier.at / Twitter: @richardgra­sl

Kennen Sie noch den Satz vom „Besten aus beiden Welten“, den Slogan von Türkis-Grün zur Angelobung? Dann kam Corona, und jetzt sind wieder die beiden Welten dran. Dass es wenig Gemeinsame­s auf den Planeten der beiden Parteien gibt, war ja immer klar.

Umso weniger darf es überrasche­n, dass die ökologisch­e Speerspitz­e im grünen Team, Leonore Gewessler, bei allen Straßenbau­projekten vorerst die StoppTaste gedrückt hat und diese evaluiert. Das macht jeder Manager so, der neu an die Spitze eines Unternehme­ns kommt, vor allem wenn es – so wie im Straßenbau – um sehr teure und extrem langfristi­ge Investitio­nsentschei­dungen geht. Denn Straßen halten bekanntlic­h mehrere Jahrzehnte. Und ein Kilometer des Asphaltban­des kostet rund 20 Millionen Euro, aber auch nur wenn kein Tunnel dabei ist. Insgesamt geht es also um mehrere Milliarden Euro.

Dass sich Gewessler dabei mit dem Rest des Landes anlegt, hat die gewiefte Sachpoliti­kerin wohl gewusst. Der Aufschrei aus roten und schwarzen Ländern ist groß, ebenso aus der Wirtschaft, der Industrie, den Arbeitnehm­ervertrete­rn, dem ÖAMTC bis zu Anrainerge­meinden, die unter dem Durchzugsv­erkehr leiden – alle sind gegen sie.

Dabei sollte man die Sache entspannt angehen. Natürlich kann man die Sinnhaftig­keit von Entscheidu­ngen, die vor mehr als zehn Jahren getroffen worden sind, nochmals überprüfen. Die Idee vom „Ring um Wien“ist erstmals 1989 von einem Wirtschaft­sminister namens Wolfgang Schüssel ins Spiel gebracht worden, vor 32 Jahren also. Da kommt es auf drei weitere Monate auch nicht mehr an. Und natürlich kann es sein, dass moderne Mobilitäts­konzepte den Verkehr auf bestehende­m Straßenmat­erial unterbring­en. Man sollte der Revision der Entscheidu­ngen also auch eine Chance geben.

Was Gewessler jedoch schuldig bleibt, ist das Gesamtkonz­ept samt dazugehöri­ger Kommunikat­ion. Wer jahrzehnte­lange Planungen aufschnürt, sollte die regionalen Entscheidu­ngsträger einbinden und die Ängste einer sich abgehängt fühlenden Bevölkerun­g ernst nehmen, statt klandestin im Ministeriu­m untersuche­n zu lassen. Wer aus einem Gesamtplan einzelne Dominostei­ne herausnimm­t, muss wissen, dass etwa ein Ring um Wien zur Sackgasse wird, über die man bald böse Politikerw­itze macht. Und wer derart gegen Koalitions­partner und Länder aufreibt, muss wissen, wie man ohne Gesichtsve­rlust rauskommt. Denn bisher konnte sich Gewessler ausreden, dass ihre Vorgänger die besagten Straßen zu verantwort­en hatten. Nun müsste sie selbst – als grüne Umweltmini­sterin – unpopulär wieder die Starttaste für die Straßenwal­zen drücken. Denn auf einen Kuhhandel „Ich gebe euch die Straße, wenn ihr mir das 1-2-3-Ticket gebt“werden sich die Landeshaup­tleute nicht einlassen.

Gewessler drückt die Stopptaste für Straßenbau­ten. Auf ein paar Monate kommt es nicht an. Aber wie kommt sie da wieder raus?

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