Anschober will Vorschläge von „den g’scheiten Verfassungsjuristen“
Wie er die Pandemie sieht und was er jetzt plant
„Es geht mir gut. Können wir jetzt zum gemütlichen Teil übergehen?“Rudolf Anschober ist zu Scherzen aufgelegt, wirkt entspannt und gelöst, als der KURIER ihn am Freitag mit anderen Journalisten am Donaukanal in Wien trifft.
Vor drei Monaten klang er noch ganz anders: „Ich will mich nicht kaputtmachen“, sagte er bei seinem emotionalen Rücktritt als Gesundheitsminister Mitte April. Damals ging es ihm nicht gut, und gemütlich hatte er es schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr. Rund um die Uhr, sieben Tage die Woche hatte er zuletzt gearbeitet – begleitet von teils heftiger Kritik an den Corona-Maßnahmen und seiner Amtsführung.
Jetzt berichtet Anschober: Sein Tinnitus ist weg, seine Blutwerte erholen sich. Das müssen sie auch, sagt der 60-Jährige. Momentan lebe er von seinen Ersparnissen, will ab Herbst aber wieder arbeiten, etwa als Berater und Vortragender. In Planung ist ein Buch – selbstverständlich über die Pandemie.
„Kein Zwischenkeppler“
Und was ist mit der Politik? Bei der Frage lacht er laut. Sehr laut. „Nein, mein Rücktritt war ein bewusster Abschluss“, sagt Anschober. Gerüchte, er könnte sich als Kandidat für die Hofburg-Wahl 2022 in Stellung bringen, wischt er weg: „Wir haben mit Alexander Van der Bellen den besten Bundespräsidenten, den man sich wünschen kann. Und so soll es bleiben.“Anschober geht davon aus, dass „der Sascha“wieder kandidiert – „ohne, dass ich mit ihm darüber gesprochen hätte“.
Auch bei Fragen zur innenpolitischen Lage oder zum türkis-grünen Koalitionskrach zuckt der Grüne, der 18 Jahre lang in Regierungsfunktionen war (erst in Oberösterreich, dann im Bund; Anm.), nur mit den Achseln. Erstens, weil er nach seinem Rücktritt „total abgeschaltet“habe. Zweitens, weil er „kein Zwischenkeppler“sein will.
Was den Gesundheitsminister a. D. aber immer noch beschäftigt, ist die Corona-Lage. Obwohl die Regeln längst gelockert sind, trägt der doppelt geimpfte Anschober noch FFP2-Maske, schüttelt keine Hände und hält den Mindestabstand ein. „Das, was gerade in Portugal und Großbritannien passiert, wird auch uns nicht erspart bleiben“, sagt er in Hinblick auf die steigenden Zahlen in diesen Ländern. Die Delta-Variante sei „die mit Abstand gefährlichste Variante, die wir je hatten“.
Diesmal ohne Grafik
Wichtig sei, dass die Bevölkerung rasch durchgeimpft werde – Ziel müsse eine Quote von 85 Prozent sein. „Nie war der Zugang zu Impfstoffen so einfach. Es wäre ein Fehler, die Chance zu versäumen“, so sein Appell an die Bevölkerung. Vieles erinnert noch an den Gesundheitsminister aus der Hochphase der Pandemie: Mit weißem Hemd sitzt er schnurgerade da, die Hände am Tisch verschränkt, davor liegen gestapelt ein dickes Notizbuch und sein Handy. Fehlt eigentlich nur die Grafik mit den Infektionskurven.
Dass die Zahlen in Österreich im Frühsommer so rapide gesunken sind, habe ihn selbst überrascht, sagt er. Ob er manchmal den Zeitpunkt seines Rücktritts bereut? Nach Monaten der Lockdowns, die Anschober durchzudrücken hatte, ließen sich Kanzler Sebastian Kurz und der neue Gesundheitsminister Wolfgang
Mückstein zuletzt für die Öffnungen und den Impffortschritt feiern. Auch da muss Anschober lachen. Allerdings nicht mehr ganz so laut.
Neues Pandemiegesetz
Der Ex-Minister wünscht sich von der Regierung eine große Evaluierung – auch, weil er sein eigenes Handeln auf Basis von Fakten reflektieren will. „Was hat gut funktioniert, was nicht? Welche Phasen gab es? Mit wem habe ich geredet, mit wem hätte ich mehr reden sollen?“Das alles seien Fragen, die – sobald es ruhiger wird – aufgearbeitet werden müssten. Notwendig sei seiner Ansicht nach auch eine Gesetzesreform. Corona habe gezeigt, dass das derzeitige Epidemiegesetz für Herausforderungen wie eine globale Pandemie, in der permanent zwischen Grundrechten und Gesundheitsschutz abgewogen werden muss, nicht tauge. „Ich würde mir wünschen, dass die g’scheiten Verfassungsjuristen, die sich zu meinen Verordnungen zu Wort gemeldet haben, einen Arbeitsprozess starten“, sagt Anschober. Wünschenswert sei zudem, dass entsprechende Maßnahmen künftig eine höhere Zustimmung im Parlament als Voraussetzung haben.
Welche Lehren er persönlich aus dieser Phase zieht, kann Anschober noch nicht sagen. „Aber jetzt habe ich ja viel Zeit zum Denken.“