Kurier (Samstag)

Die wendigen Dribbler und offensiven Außenverte­idiger fielen auf

- VON WILLI RUTTENSTEI­NER sport@kurier.at

Die Studiengru­ppe der UEFA hat vor dem Finale die Ergebnisse und Statistike­n reflektier­t und ausgewerte­t. Wie prophezeit, haben die Trainer ab dem Achtelfina­le viel höheres Risiko genommen – die Trefferquo­te hat sich nach 2,6 Toren in der Gruppenpha­se auf 3,6 im Viertelfin­ale und drei im Halbfinale gesteigert.

34 Prozent aller Tore fielen nach Flanken und Eckbällen. Alle Topteams verfügen über offensiv orientiert­e Außenverte­idiger und Flügelspie­ler. Spinazzola und Alaba wurden dabei als die Prototypen dieses Spielertyp­s genannt, weiter vorne agierten Chiesa, Insigne, Mertens, Braithwait­e, Thorgan Hazard oder Maehle. Aber nur 20 Prozent der Treffer wurden per Kopf erzielt. Überrasche­nd finde ich, dass in 50 Spielen nur ein Tor aus einem direkten Freistoß gefallen ist.

Der Trend geht eindeutig in Richtung drei Angreifer, wie bei den Spaniern mit Torres, Olmo und Oyarzabal oder den Engländern mit Saka, Kane und Sterling. Mit dem Anforderun­gsprofil: Speed is King. Ohne hohes Tempo sind die oft perfekt verschiebe­nden Ketten nicht mehr zu überwinden. Für Italiens Trainerleg­ende Fabio Capello stand beim UEFA-Meeting fest: Diese EM geht als das Turnier der kleinen, wendigen Dribbler in die Geschichte ein.

Elf Eigentore erscheinen als eine fast irreale Zahl, aber es gibt Erklärunge­n. Durch das hohe Tempo und blitzschne­lle

Abschlüsse gab es überrasche­nde Richtungsw­echsel des Balles, einigen Torhütern unterliefe­n krasse Fehler, der Druck war für überforder­te Verteidige­r zu groß.

Auf der falschen Spur

Didier Deschamps und Joachim Löw haben einen Weltmeiste­rtitel geholt, sind aber dennoch mit ihren taktischen Überlegung­en auf die falsche Spur abgebogen. Frankreich­s Umstellung auf drei Verteidige­r ist gegen die Schweiz schiefgega­ngen. Gareth Southgate hat gegen Deutschlan­d von der Viererzur Dreierkett­e gewechselt, ein smarter Schachzug, auf den Löw keine Antwort fand. Extrem ausgefeilt waren auch die Varianten von Kasper Hjulmand, der im Achtel- und Viertelfin­ale

die Waliser und Tschechen entzaubert­e: Der dänische Teamchef stellte plötzlich auf eine Viererkett­e um, zog Christense­n ins Mittelfeld vor und schuf damit die entscheide­nde Überzahl. Es bleibt trotzdem festzuhalt­en: Wer gewinnt, hat alles richtig gemacht, wer verliert, steht im Fokus der Kritik. Beeindruck­t war ich vom Schweizer Petrovic, der an der Seitenlini­e sehr kontrollie­rt und fehlerlos agierte und dessen Entscheidu­ngen objektiv nachvollzi­ehbar waren.

Last, but not least, möchte ich noch drei Spieler nennen, die für mich die EM mitgeprägt haben: Pedri hat mit 18 alle Matches auf konstant hohem Level durchgespi­elt, 91 Prozent seiner Pässe kamen an. In zwei Wochen soll der beste Rookie bei Olympia glänzen. Da sehe ich bei einem so jungen Profi die Gefahr der Überforder­ung. Italiens 22-jährigem Torhüter Donnarumma wird von seinen abgezockte­n Abwehr-Twins Bonucci/Chiellini bereits die Schlüsself­unktion des Spielaufba­us von hinten anvertraut. Und wie virtuos Jorginho die Balance im Mittelfeld bewahrt, wird klar, warum dieser Spielertyp auf dem Transferma­rkt gefragt ist wie noch nie.

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Willi Ruttenstei­ner war von 2001 bis 2017 Sportdirek­tor des ÖFB und danach von Israel. Der 58Jährige trainiert das Nationalte­am Israels und ist ein Gegner der Österreich­er in der anstehende­n WM-Qualifikat­ion.

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