Vom Versager zum Helden
Nach dem Elfer-Drama 1996 steht Southgate vor der Krönung
Gentleman. Gareth Southgate ist 50 Jahre alt – und hat Fußball-England die Hoffnung zurückgegeben. Unter ihm kämpfen die Three Lions wieder um Titel, so auch am Sonntag im Finale gegen Italien. Der Teamchef ist in der Heimat der große Held, der Heilsbringer. Und das, obwohl er vor 25 Jahren noch der Depp der Nation war.
Es war der 26. Juni 1996, EM-Halbfinale England gegen Deutschland im Wembley-Stadion. Nachdem im Elferschießen die ersten zehn Strafstöße allesamt verwandelt worden waren, legte sich Verteidiger Southgate den Ball auf – und scheiterte an Keeper Andreas Köpke. Andreas Möller traf, England war draußen. Der Sündenbock war schnell gefunden, die Medien zerrissen Southgate in der Luft, das ganze Land lachte über ihn. Southgate fiel es lange Zeit sehr schwer, mit den Ereignissen dieses Tages abzuschließen. „Ich habe eine Million Dinge von diesem Tag und den darauffolgenden Jahren gelernt. Die wichtigste Sache ist, dass es nicht das Ende ist, wenn etwas im Leben schiefläuft“, sagte er später.
Kultfigur
Seine Trainer-Karriere begann er bei Middlesbrough, ehe er zum englischen Verband wechselte. Nach einigen Jahren im Nachwuchs übernahm er 2016 den Teamchefposten – und spielte sich in die Herzen der Fans. Spätestens seit dem WM-Halbfinale 2018 ist er ein Nationalheld. Sein Outfit – er ist stets smart gekleidet – ist längst Kult, manche bezeichnen Southgate sogar als ModeIkone. Ein weiterer Beweis für seine Beliebtheit: Eine Fast-Food-Kette schenkte ihm kostenlose Pizza auf Lebenszeit.
Der Hype um den Coach ist riesig. Während er in der 1998er-Version des Liedes „Three Lions“(Football’s Coming Home) noch unfreiwillig im Text vorkam, gibt es mittlerweile einen eigenen Song für ihn. Schon bei der WM 2018 haben die Fans den Song „Whole Again“von Atomic Kitten umgetextet. Jetzt hat die Pop-Band die neue Version sogar aufgenommen. „Southgate, you’re the one, you still turn me on. Football’s coming home again“– „Southgate, du bist der Richtige, du machst mich immer noch an. Der Fußball kommt wieder nach Hause“, heißt es da.
Auch die Experten von der Insel stehen hinter ihm und wollen vom 96er-Drama nichts wissen: „Gareth Southgate hat alles, was es braucht, um eine Führungspersönlichkeit zu sein: Er ist respektvoll, bescheiden, ehrlich“, sagt Gary Neville. Alan Shearer schrieb sogar einen Brief: „Gareth, ich habe dir nie die Schuld gegeben. Du bist gestolpert. Aber du bist wieder aufgestanden. Und jetzt ist es endlich Zeit, um loszulassen.“Sollte er England tatsächlich den ersten Titel seit der WM 1966 schenken, wird er wohl endgültig zum Ritter geschlagen.