ÜBER leben
Lange kannte ich Salzburg nur aus den Texten von Thomas Bernhard, als morbide Barockhölle, wo man nur die Wahl hat, sich vom Mönchs- oder Kapuzinerberg zu schmeißen. Dann lernte ich die Stadt kennen und stellte fest: Bernhard hat Recht, aber auch nicht. Denn zwischen all der zu Stein gefrorenen Geschichte findet sich wild pulsierendes Leben. Salzburg ist nicht nur ein Freilichtmuseum für verwirrte Touristen, sondern auch ein unter hoher Spannung stehender Ort.
Meine intensivsten Erfahrungen hatten immer etwas mit Unwetter zu tun. Im Sommer 2002 fuhr ich mit der Eisenbahn zu den Festspielen, mein ganzes Leben stand damals unter Wasser, passend dazu erblickte ich aus den Zugfenstern nur Meer. Es war die Zeit der großen Hochwasser, Politiker trugen öffentlich Gummistiefel und schleppten für die Kameras Sandsäcke von A nach B. In der Stadt zeigte sich die Salzach wild entschlossen, gründlich aufzuräumen und die ganze historische Kulisse abzutragen. Hotels verlegten ihre Rezeptionen in den ersten Stock, und Festspielbesucher wurden von der Polizei in kleinen Gruppen über den Markartsteg geleitet. Dass in dem ganzen Chaos dann großartiges Theater gespielt wurde, war verblüffend – und auch wieder nicht: Shakespeare hatte die Regie für die Stadt übernommen.
Jahre später ging ich mit meiner damaligen Freundin in Salzburg joggen. Nach fünf Kilometern entlud sich aus heiterem Himmel ein geradezu wütendes Gewitter, wir waren in Sekunden bis auf die Haut nass, liefen aber einfach weiter, an all den Sehenswürdigkeiten vorbei, während uns der duftende Augustregen auf die Köpfe trommelte. Noch einmal einige Jahre später wartete ich auf der Festspielterrasse auf die Premiere eines neuen „Jedermann“. Unwetter brachen los, die Blitze zuckten, der Donner explodierte förmlich, der Wind heulte. Das war die beste Vorstellung, die ich bei den Festspielen je gesehen habe.