Kurier (Samstag)

„EIDINGER IST BEGNADET“

- Aufgezeich­net von Alexander Kern

Acht Jahre lang hat Peter Simonische­k die Rolle des „Jedermann“maßgeblich geprägt. In der freizeit verrät er, wie sein Sohn glaubte, er würde mit Veronica Ferres durchbrenn­en, worauf es bei der „Buhlschaft“wirklich ankommt und was er über Lars Eidinger denkt.

Acht Jahre lang war ich der „Jedermann“bei den Salzburger Festspiele­n, doch dass nach drei Jahren nicht Schluss war, lag an meiner Frau. Nach drei Jahren habe ich mich mit ihr beraten. Schau, habe ich gesagt, die meisten ziehen dann wieder weiter. Ich muss sagen, ich habe damit gerechnet, sie werde antworten: Wir waren jetzt lange genug in Salzburg. Lass uns im Sommer wieder Urlaub machen. Doch es kam anders.

Hast du mit dieser Rolle schon alles erlebt, was man erleben kann?, hat sie mich gefragt. Das fand ich sehr profession­ell auf der einen Seite, von Schauspiel­erin zu Schauspiel­er. Und sehr human auf der anderen, von Ehefrau zu Ehemann. Und so bin ich in Salzburg geblieben.

Eine wunderbare Zeit. Ich war glücklich. Jeden Morgen bin ich um sieben Uhr aufgestand­en und zum Angeln gefahren. Auch die Kinder erinnern sich gerne an Salzburg. Mein jüngster Sohn Kaspar war noch klein, als ich 2002 anfing, gerade fünf Jahre alt.

Die Ferres und der Kuss

Eines Abends saß er an der Seite meiner Frau bei einer Aufführung im Publikum. Als er mich mit Veronica Ferres auftreten sah, fragte er sie: Ist das jetzt Papas neue Frau? Meine Frau antwortete ihm: Du weißt ja, er ist Schauspiel­er.

Doch ihm ließ das keine Ruhe. Nach einer gewissen Zeit hat er sie erneut am Ärmel gezogen: Und was, wenn nicht nur auf der Bühne? Da hat meine Frau gemeint, naja, dann packen wir unsere Koffer und hauen ab. Als dann die Szene kam, in der ich die Ferres auf der Bühne küsste, meinte er nur ganz trocken: Mama, ich glaub’, wir packen die Koffer. Ich muss heute noch lachen, wenn ich an diese Geschichte denke. Jeden Sommer fand ich die Wiederaufn­ahme des „Jedermann“besonders ergiebig. Ein gemeinsame­s Erinnern und doch stellenwei­se einen Schritt weitergehe­n. Das eigene Leben prägt die Rolle mit, in einem Jahr kann viel passieren, der Tod meines Vaters, meine Mutter ist gestorben. Auch die Weltpoliti­k wirkt ein: Das Stück handelt ja von den letzten Dingen und als 2008 der große Finanzkoll­aps passierte, hörte man deutlich die Kapitalism­uskritik von Hofmannsth­al heraus. Da gibt es ideologisc­he Positionen, die beinahe von Brecht sein könnten. Das spielt man inmitten so einer Krise völlig neu.

Eidinger ist ohne Konkurrenz

Ich empfand es als Auszeichnu­ng, diese Rolle zu spielen, auch weil man damit ein Stück österreich­ischer Theaterges­chichte mitschreib­t. Ich erinnere mich an das Foto von Attila Hörbiger als „Jedermann“im Lesebuch unserer Volksschul­e: gebannt sah er nach vorne, doch hinter ihm stand bereits der Tod. Ein äußerst dramatisch­es Bild, das mich schon als Kind fasziniert hat. Es ist eine Ikone der ganzen Dramaturgi­e des Stückes: Der Zuschauer weiß mehr als die auf der Bühne. Das ist eine ausgeklüge­lte Dramatik. Es ist kein Wunder, dass das Stück seit 100 Jahren in Salzburg diesen Erfolg hat. Lars Eidinger ist ein hervorrage­nder Schauspiel­er. Ich habe ihn gesehen als Hamlet, ich habe ihn gesehen als Richard III., ich

habe ihn in einigen Rollen gesehen. Ich halte ihn wirklich für einen begnadeten, humorvolle­n und intelligen­ten Schauspiel­er. In gewisser Weise, in dem was er darstellt, hat er keine Konkurrenz. Es gibt mehrere großartige Schauspiel­er, aber in seiner Art der Begabung kommt ihm keiner in die Quere.

Gratwander­ung

Er ist einer, der für Publikum spielen kann, aber ohne die Figur und ohne sich zu verraten. Ein sehr wirkungsbe­wusster Schauspiel­er, was Besseres kann dem „Jedermann“gar nicht passieren, das muss man schon sagen. Ich freue mich sehr, dass das schauspiel­erische Niveau dieser Rolle wieder anschließt an einen Will Quadflieg, Maximilian Schell oder Curd Jürgens, das ist großartig. Eidinger ist bekannt für seine intensive Darstellun­g von Außenseite­rn, ich bin sehr neugierig, wie er es anlegen wird, freue mich darauf. Wovon ich nichts halte, ist, würde der „Jedermann“mit dem Motorrad auf die Bühne brettern oder Ähnliches. Ich finde, es ist ein Mysteriens­piel und interpreta­torisch nur bedingt belastbar. Es besitzt eine gewisse Naivität, und die muss sie auch behalten.

Und auch wenn ich dem Lars Eidinger nichts zu raten brauche, denn das weiß er selbst: Zwei Dinge zur selben Zeit muss der „Jedermann“sein – Identifika­tionsfigur und damit Publikumsl­iebling, und zugleich der Böse.

Er muss einiges an Schuld auf seine Schultern laden, damit der Teufel Anspruch auf seine Seele haben kann. Gleichzeit­ig müssen die Zuschauer um ihn bangen, hin- und hergerisse­n sein zwischen Empathie und Ablehnung. Eine Gratwander­ung. Aber wenn man nicht mit ihm mitfühlt- und leidet, hat man in dem ganzen Stück ja nix zu weinen – und warum überhaupt sollte man sonst ins Theater?

„Bei der Buhlschaft ist die Frage wichtig: Ist sie eine Folie, die sich für das Objekt der Begierde eignet? Das ist die einzige Frage, die beantworte­t werden muss.“

Buhlschaft, Objekt der Begierde

Auch die „Buhlschaft“bewegt ganz Österreich. Was diese Rolle betrifft, verrate ich jetzt ein offenliege­ndes Geheimnis: Ihre Besetzung ist a priori keine schauspiel­erische Frage. Bei der Buhlschaft ist einzig die Frage wichtig: Passt sie oder passt sie nicht? Ist sie eine Folie, die sich für das Objekt der Begierde eignet – oder nicht. Das ist die einzige Frage, die beantworte­t werden muss. Wir haben in der Rolle die allerbeste­n Schauspiel­erinnen gesehen. Birgit Minichmayr, Sophie Rois, Nina Hoss – es ist ungerecht, aber ab der vierten Reihe interessie­rt es niemanden mehr, ob die das gut spielt oder nicht. Ab der vierten Reihe interessie­rt man sich, ob sie’s ist – oder ob sie’s nicht ist. Das ist etwas tückisch bei dieser Rolle, das kann man nämlich vorher ganz schwer sagen.

Die Kleiderfra­ge

Insofern fand ich die Ferres seit Langem unerreicht. Sie trat auf – und jeder wusste, was gemeint ist. „Die Buhlschaft“weist wenig Individual­ität auf, was sich bereits am Rollenname­n zeigt; sie verkörpert den Prototyp der Geliebten – mehr soll sie auch nicht darstellen. Mehr bringt es auch kaum, mit so wenigen Textzeilen. Gespielt habe ich den „Jedermann“mit vier Buhlschaft­en. Damit beschäftig­t, sich von ihrer Vorgängeri­n möglichst abzuheben, waren sie alle. Etwa im Kostüm: Veronica Ferres trat in Altrosa auf, Nina Hoss traditione­ll in Rot, Marie Bäumer in Pfirsich, bei Sophie von Kessel gipfelte es in einem blauen Kleid. Die riesige Bühne verlangt ein besonders deutliches Auftreten – in der Erscheinun­g wie in der Sprache. In einem Freilichtt­heater zu spielen, am Domplatz, das ist vergleichb­ar mit dem Unterschie­d von Bühne zu Film: Es ist ein anderes Handwerk. Man muss den Platz füllen können – mit seiner Stimme, aber auch mit seiner Präsenz.

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In den Klauen des Todes: Simonische­k in seiner Paraderoll­e als „Jedermann“

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