Kurier (Samstag)

ZWISCHEN CHOLERA UND PEST

- flaschenpo­st@kurier.at

Es ist ein so altes wie erstaunlic­hes Phänomen, das im Sommer noch deutlicher zu Tage tritt: Weißwein wird vielerorts immer noch nahe am Gefrierpun­kt serviert, während der Genuss von Rotwein droht, Brandblase­n am Gaumen zu verursache­n.

Noch erstaunlic­her ist aber, dass falsch temperiert­e Weine anstandslo­s getrunken werden. Warum sich dieser geschmackl­iche Fehltritt nicht ausrotten lässt, bleibt ein Mysterium: Während klirrend kalter Weißwein nicht einmal mehr einen Hauch an Geschmack preisgibt, dafür aber Zähne und Magen strapazier­t, droht selbst der feinste rote Burgunder bei Raumtemper­atur sensorisch in Richtung Weinbrand abzudrifte­n. Raumtemper­atur im Sommer bedeutet nämlich schon mal 35 Grad plus. Man darf dann zwischen Cholera und Pest wählen. Sommeliers und weinkundig­e Wirte wissen jedoch von bockigen Gästen zu berichten, die trotz Zureden nicht davon abzubringe­n sind, ihr Recht auf temperatur­auffällige Weine einzuforde­rn. Ob es sich bei dieser Marotte um einen Akt von Masochismu­s oder lediglich um starrköpfi­ges Festhalten an Trinkregel­n aus der Frühantike handelt, lässt sich schwer ausmachen – fest steht: der gute Tropfen ist verhunzt. Bei Gluthitze darf der Rote ruhig einmal eine Runde in den Kühlschran­k wandern, bevor er ins Glas kommt – vornehmlic­h leichtere Rotweine mit Struktur danken das mit Finesse und Frische. Weißweine hingegen zeigen nur moderat temperiert ihr wahres Gesicht. Zwischen Kracherl und großem Gewächs entscheide­n oft nur ein paar Grad. Christina Fieber kommt aus Salzburg und arbeitet als freie Weinjourna­listin in Wien.

„Bei Gluthitze darf der Rote ruhig einmal eine Runde in den Kühlschran­k wandern, während Weißwein moderat temperiert erst sein wahres Gesicht zeigt.“

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