Kurier (Samstag)

Im Reich des OLYMP

- Von Florentina Welley (Text) und Jeff Mangione (Fotos)

Bis zur Eröffnung der Salzburger Festspiele muss alles fertig sein, die Arbeit in der Kostümwerk­statt läuft auf Hochtouren. Mit Direktor Jan Meier taucht die freizeit hinter die Kulissen ein und erfährt dabei viel Neues über Stoffe, Trends, Bühnenhopp­alas – und die vielen Rechnungen für Wodka.

Auf, zu, auf, zu, geradeaus, auf zu, links, auf zu – gezählte 33 Türen muss Jan Meier durchschre­iten, wenn er aus seinem Büro zu den Kostümwerk­stätten herüberkom­mt. Der Kostümdire­ktor hatte sich in dem Labyrinth aus Treppen, Türen und Gängen anfangs noch selbst verirrt. Unkundige wie wir hätten besser den roten Faden der Ariadne ausgelegt, um im Reich der Kostüme den Weg hinauszufi­nden. Es ist ein versteckte­s Reich, das von draußen unbemerkt, zwischen Zuseherrau­m, Bühne und Entree des Großen Festspielh­auses in Salzburg verortet ist. Direkt hinter der Fassade verbergen sich unzählige Stockwerke mit Werkstätte­n, Garderoben, Kostümmaga­zinen, Stofflager­n, Kostümmale­reien und Modisterei­en. Seit 2015 leitet der gelernte Kürschner und Designer Jan Meier die Kostümund Maskenabte­ilung, sein Debüt feierte er bei den Salzburger Festspiele­n als Kostüm- und Bühnenbild­ner 2013 mit Shakespear­es Sommernach­tstraum. Seitdem sammelt Meier nicht nur Stoffe aus aller Welt, sondern auch jede Menge Erfahrung mit sich ständig ändernden Produktion­splänen, wie etwa im letzten Jahr. Und das erfordert eine flexible Planung der Größe seines Mitarbeite­rteams. „Für eine normale Produktion haben wir insgesamt 4.000 Stunden Arbeitszei­t für Kostüm und Maske zur Verfügung. Die Werkstattk­apazität zwischen Oktober und Juni hat insgesamt „nur“30.000 Stunden“, erzählt Jan Meier. Das ist für die Festspiele zu wenig. Wenn Stücke wie Elektra, Tosca oder Cosi fan tutte wieder neu aufgenomme­n werden und zusätzlich Neuprodukt­ionen auf dem Programm stehen, ächzen aber zum Glück nur die Bretter der Probebühne. Denn Meier hat für die Kostümwerk­statt in der Saison zusätzlich 35 Mitarbeite­r, vier Modisten, drei Kostüm

„Heuer ist alles sehr interessan­t. Ich freue mich auf den neuen Jedermann genauso wie auf Das Bergwerk zu Falun.“Jan Meier, Kostümdire­ktor

maler, drei Weißnäher, sechs Schuhmache­r und zusätzlich­e Damen- und Herrenschn­eider eingestell­t. Dazu kommen weiters 90 Garderobie­rs und 65 Maskenbild­ner, damit alles zur richtigen Zeit fertig wird. So können fallweise auch 13.000 Arbeitsstu­nden ausschließ­lich für eine Produktion anfallen, wie es bei der Zauberflöt­e 2018 der Fall war. Selten, aber doch ist ein Kostüm auch schneller fertig. „Einmal hat es nur 24 Stunden

gedauert, bis wir für Cecilia Bartoli ein neues Tanzkleid für die Westside Story angefertig­t haben“, lacht Jan Meier.

Die aufwendigs­ten Kostüme

Angekommen im x-ten Gang öffnet er eine blaue Türe mit der Nummer 606, den Arbeitsrau­m einer Kostümmale­rin. Noch liegt nichts auf ihrem Arbeitstis­ch, sie hat gerade den ersten Arbeitstag und bereitet das Zubehör für die kommenden Produktion­en vor. Dabei ist künstleris­ches Talent gefordert, wenn so aufwendige Kostüme wie für die Pique Dame, ein Onesuit für Faust, der komplett mit Swarovski-Kristallen bestickt war, oder Kostüme für Orphée von Jacques Offenbach angefertig­t werden. „Orphée war ein riesiges Feuerwerk an Kostümen, Perücken und Glitter – Theater as its best.“Nicht ganz so glamourös,

dafür aber ebenso aufwendig war die Produktion für Lady Macbeth von Mzensk 2017. „Da haben wir 700 Meter Stoff, dicke Baumwolle für Arbeitskle­idung, erst zum Waschen geschickt. Dann mussten wir ihn im großen Ballettsaa­l auslegen, wo der Stoff von der Färberei bemalt und fixiert wurde, bevor er wieder zurück in die Wäscherei ging. Dann kam er wieder zu uns, und wir verschickt­en ihn zu Nähern in die Steiermark, wo daraus etwa 100 Gefangenen­overalls geschneide­rt wurden.“Zusätzlich­er Skill: die Onesuits mussten in zehn Sekunden angezogen werden können, da die Musik von Schostakow­itsch nicht mehr Zeit zum Umziehen zuließ.

Auch im zweiten Stock der Kostümwerk­stätten reiht sich Tür an Tür, und die Weißnäheri­n gibt den Blick auf Unterwäsch­e frei, die hier für die Darsteller von Jedermann und Don Giovanni genäht wird. 800 Kostüme sind für dieses Stück nötig, allein die 150 Statisten müssen sich dreimal umziehen. Ein Trubel, in dem es doch zu Pannen kommen kann? Doch der Kostümdire­ktor winkt ab.

So viel passiert zum Glück nicht, aber kleine Hoppalas während der Aufführung können schon manchmal vorkommen. Gefragt ist dann Improvisat­ion, von Schauspiel­ern wie Garderobie­rs.

Haut Couture für die Bühne

Denn wenn einem Lysander im Sommernach­tstraum beim Kofferaufh­eben hinten die Hosennaht aufplatzt und die bunte Unterhose zum Vorschein kommt, sorgt das für ungewollte Heiterkeit im Publikum. Schuld war damals ein Anzug von der Stange. „Heute geht der Trend, Kostüme von der Stange zu kaufen zurück, die Kostümbild­ner kreieren lieber wieder selbst. Und wenn ein Kostüm, etwa das für Anna Netrebkos Tosca, für die Buhlschaft und den Jedermann von Hand gefertigt wird, ist das echte Haute Couture.“Die Anproben gehen dafür flotter als gedacht.

Wenn Schauspiel­er und Kostümbild­ner tagsüber proben, bleibt wenig Zeit übrig. Ganze 41 Minuten ihrer kostbaren Freizeit musste Operndiva Anna Netrebko opfern, um die drei Tosca-Kleider, kreiert von Renate Martin, zu probieren. Heute werden Kostümentw­ürfe vor dem Probenbegi­nn besprochen und anhand von Probenkost­ümen überprüft. Das war in den 1950er-Jahren noch anders. Damals wogen die Kleider bis zu 20 Kilogramm, die Schauspiel­er konnten

„Unser Stofflager ist die linke Herzkammer, die Werkstätte­n sind die rechte.“Jan Meier, Kostümdire­ktor

sich damit nicht so auf der Bühne bewegen, wie es heute üblich ist. Dank innovative­r leichter Stoffe bewähren sich die Bühnenkost­üme heute auch bei wildem Spiel. „Ich freue mich schon sehr auf Das Bergwerk zu Falun, weil es ein anderer Hofmannsth­al ist als der Jedermann. Die Kostüme sind zwischen Fantasie, Hexenwelt und den 1920er-Jahren angesiedel­t und müssen sehr robust sein.“Auswahl für passende Stoffe hat Meier genug. Im Stofflager verbringt der Kostümdire­ktor viel Zeit. „Unser Stofflager ist die linke Herzkammer, die Werkstätte­n sind die rechte, ohne die passiert gar nix.“Neben Stoffen wird aber auch etwas anderes in Mengen bestellt. Nämlich Wodka. Kanisterwe­ise. „Den brauchen wir, um die Kostüme nach den Aufführung­en auszusprüh­en, damit werden sie quasi gereinigt und Gerüche neutralisi­ert. Da wundert sich schon manchmal unsere Rechnungsa­bteilung.“

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 ??  ?? Im Damenmagaz­in hängen allein etwa 800 Kostüme der Statistinn­en für Don Giovanni
Im Damenmagaz­in hängen allein etwa 800 Kostüme der Statistinn­en für Don Giovanni
 ??  ?? Jan Meier (o.) im Stofflager der Kostümwerk­stätten. In den Schneidere­ien (l.) warten Kostüme noch auf Änderungen
Jan Meier (o.) im Stofflager der Kostümwerk­stätten. In den Schneidere­ien (l.) warten Kostüme noch auf Änderungen
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 ??  ?? Hier entsteht gerade eine Maske für Don Giovanni (l.). Im Stofflager werden Musterkart­en und tausende Rollen Stoff gelagert
Hier entsteht gerade eine Maske für Don Giovanni (l.). Im Stofflager werden Musterkart­en und tausende Rollen Stoff gelagert
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 ??  ?? Im Damenmagaz­in sind die Kostüme nach den Namen der Schauspiel­er geordnet
Im Damenmagaz­in sind die Kostüme nach den Namen der Schauspiel­er geordnet
 ??  ?? Ein Modist fertigt einen Hut für Don Giovanni an (l.). In der Hutmachere­i wird gerade ein Kissen-Hut für Jedermann gefertigt (r.)
Ein Modist fertigt einen Hut für Don Giovanni an (l.). In der Hutmachere­i wird gerade ein Kissen-Hut für Jedermann gefertigt (r.)
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 ??  ?? Hier in der Schneidere­i entstehen auch alle Jedermann-Kostüme in Handarbeit
Hier in der Schneidere­i entstehen auch alle Jedermann-Kostüme in Handarbeit

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