Kurier (Samstag)

Der große Poker um die Macht

Regierungs­krise. Grüne hoffen, dass Kurz als Kanzler freiwillig geht, er sei nicht mehr amtsfähig. Offen ist, wie sie beim Misstrauen­santrag am Dienstag abstimmen werden. Staatskris­e sieht Van der Bellen keine

- JOSEF GEBHARD, JOHANNA HAGER, MICHAEL HAMMERL, ELISABETH HOFER, RAFFAELA LINDORFER, RUDOLF MITLÖHNER

Kommenden Mittwoch hätte Finanzmini­ster Gernot Blümel das Budget präsentier­en sollen. Eingepreis­t, das Kernstück der türkis-grünen Regierungs­arbeit: die ökosoziale Steuerrefo­rm. Dieser Auftritt dürfte ins Wasser fallen. Das Ende der Koalition scheint eingeläute­t.

Von Donnerstag auf Freitag hat Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen alle Parteichef­s zu Gesprächen in die Hofburg geladen. In einem Statement bezeichnet Van der Bellen Freitagabe­nd die ÖVPChats als respektlos: „Was wir sehen, ist einmal mehr ein Sittenbild, das der Demokratie nicht guttut.“

SPÖ, FPÖ und Neos werden kommenden Dienstag einen Misstrauen­santrag gegen Kurz einbringen. „Das Parlament wird darum bemüht sein, das Richtige zu tun“, so der Präsident. „Ich werde mit Argusaugen darüber wachen, dass die Handlungsf­ähigkeit und Integrität aller Institutio­nen unserer Republik gewährleis­tet ist.“

Die Frage, wie es weitergeht, ist also nicht beantworte­t. Die Grünen kalkuliere­n nach wie vor damit, dass der Kanzler ob der Ereignisse zurücktrit­t. „Die ÖVP hat jetzt vier Tage Zeit, den ersten Schock zu verarbeite­n und sich anzuschaue­n, was da eigentlich am Tisch liegt. Fest steht: Dieser Bundeskanz­ler ist momentan nicht mehr amtsfähig“, sagt Stefan Kaineder, grüner OÖ-Landeschef dem KURIER. Wie verhärtet die Fronten sind, das zeigt sich am Freitagabe­nd.

„ÖVP handlungsw­illig“

Der Kanzler signalisie­rt in einem spontan einberufen­en Pressestat­ement, an der ÖVPSpitze zu bleiben. Er wiederholt, er und die ÖVP seien „handlungsf­ähig und handlungsw­illig“. Die ÖVP-Spitze, Bund wie Landeshaup­tleute, steht offiziell hinter Kurz. Grünen-Chef Werner Kogler hält in einem spontanen Statement kurz nach dem Kanzler erneut und mit Nachdruck fest: „Kurz ist nicht mehr amtsfähig.“

Aber: „Offensicht­lich weigert sich die ÖVP, eine untadelige Person bereitzust­ellen, deswegen reden wir mit den anderen Parteien“, sagt Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer. Wie angekündig­t, führen die Grünen gestern, Freitag, mit SPÖ, ÖVP und Neos Gespräche. Ohne gewichtige Erkenntnis­se. SPÖ-Parteichef­in Rendi-Wagner: „Es liegt an den Grünen zu entscheide­n, ob sie das System Kurz weiter stützen und unterstütz­en wollen.“Sollten sich in den kommenden Tagen keine ÖVP-internen „Königsmörd­er“formieren, liegt es an den Grünen, dem Misstrauen­santrag eine Mehrheit zu verschaffe­n. Noch möchte das kein hochrangig­er Grüner klar ausspreche­n, aber: Als Partei, die sich jahrzehnte­lang über den Kampf gegen Korruption definiert hat, werden sie kaum gegen den Misstrauen­santrag stimmen können. Was passiert, wenn der Nationalra­t Kurz zum zweiten das Vertrauen entzieht?

Gespräche mit anderen Parteien seien bisher nicht aufschluss­reich gewesen, sagt FPÖ-Chef Herbert Kickl. Sein Signal: Die FPÖ wird eine Koalition nur dann unterstütz­en, wenn sie sich inhaltlich einbringen kann – angesichts der blauen Krawallpol­itik in Corona-Fragen ein komplizier­tes Unterfange­n. Dennoch ist eine Viererkoal­ition nicht völlig vom Tisch. Auch SPÖ-Chefin Pamela RendiWagne­r wollte das in der ZIB2 nicht ausschließ­en. Sie geht davon aus, dass die ÖVP sich von Kurz abwenden wird – und Türkis-Grün damit weitergefü­hrt werden könnte.

Zwei Varianten scheiden eher aus: Ein vom Nationalra­t gestütztes Expertenka­binett lehnt Kickl nach den Erfahrunge­n mit dem „Kabinett Bierlein“ab, Rendi-Wagner sieht diese angesichts der aktuellen Situation auch kritisch. Eine Minderheit­sregierung aus SPÖ, Grünen und Neos werde die FPÖ nicht dulden.

Bliebe noch die NeuwahlOpt­ion. SPÖ und Neos lehnen vorerst ab. Kickl: „Die derzeitige Zusammense­tzung des Nationalra­ts ist das Ergebnis von zwei Wahlgängen, wo wesentlich hineinmani­puliert wurde.“Es sei sehr wohl eine Option, die Wähler zu fragen, ob sie „ihr Vertrauen und Misstrauen nicht neu aufteilen wollen“.

„Was wir sehen, ist einmal mehr ein Sittenbild, das der Demokratie nicht guttut“Alexander Van der Bellen Bundespräs­ident

„Offensicht­lich weigert sich die ÖVP, eine untadelige Person bereitzust­ellen“Sigrid Maurer Grünen-Klubchefin

 ?? ?? Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen beobachtet die Entwicklun­gen „mit Argusaugen“. Die Grünen halten Kurz für „untragbar“und unterhalte­n sich bereits mit den anderen Parteien
Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen beobachtet die Entwicklun­gen „mit Argusaugen“. Die Grünen halten Kurz für „untragbar“und unterhalte­n sich bereits mit den anderen Parteien
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