„Habe noch Tage, an denen ich kämpfen muss“
Mikaela Shiffrin. Die beste Skifahrerin der Gegenwart ist zurück. Zwei Wochen vor dem Weltcup-Auftakt sprach sie über die privaten Schicksalsschläge, Gitarrenstunden und ÖSV-Rivalin Katharina Liensberger
„She’s the real deal“, weiß der KURIER seit dem 3. Jänner 2012 über Mikaela Shiffrin. Ron LeMaster, Autor und Analyst für US-Ski- und -Skilehrerverband, klärte vor dem Slalom in Zagreb auf, dass diese 16-Jährige aus Colorado die Frau der Zukunft sei. Da hatte sie gerade ihren ersten Podestplatz im Weltcup geholt, als Dritte des Slaloms von Lienz.
69 Weltcupsiege später ist Shiffrin zurück in Europa. Die „brutale“Zeit seit November 2019 hat sie verarbeitet. Der Tod ihrer Großmutter Pauline und mehr noch jener von Vater Jeff im Februar 2020 hatten Mikaela Shiffrin schwer zugesetzt. „Im letzten Sommer war an eine Vorbereitung kaum zu denken. Ich war vor allem mit Büroarbeiten beschäftigt und musste schauen, wie ich das Training noch unterbringe.“
Nun ist zwar noch nicht alles wieder gut, aber die Beziehung zum Norweger Aleksander Aamodt Kilde und der zeitliche Abstand zu den Schicksalsschlägen haben neue Kraft gegeben. Beide besuchten einander mehrfach, und sie haben natürlich auch gemeinsam trainiert. „Er ist stark“, sagt Shiffrin und muss lachen – der Gesamtweltcupsieger der vorletzten Saison ist als Muskelberg bekannt.
„Heute ist mein erster Tag in Europa“, sagt Mikaela Shiffrin am Donnerstagnachmittag beim traditionellen Medientag ihres Ausrüsters Atomic in Altenmarkt, und da drängt sich eine Frage auf.
KURIER: Wie war Ihr Kaffee? Mikaela Shiffrin: Oh, gut war er (lacht). Normalerweise trinke ich ja keinen, aber wenn ich wie im August im Trainingslager in Saas Fee um vier Uhr in der Früh aufstehen muss, dann geht es nicht ohne. Und heute spüre ich noch ein wenig den Jetlag. Also: Kaffee.
Nach dem so schwierigen 2020 haben Sie heuer wieder mehr Zeit für das Basistraining gehabt. Wo stehen Sie?
Das ist schwer zu vergleichen mit der Vergangenheit. Aber ich fühle mich stärker und stabiler in der ganzen Bewegung. Ich konnte wieder Feuer ins Work-out bringen und habe acht, neun Wochen in der Kraftkammer verbracht. Letztes Jahr musste ich viele Dinge erledigen, die ich nie zuvor gemacht hatte. Heuer hatte der Sport wieder Priorität, und die Athletin in mir fühlt sich viel besser.
Sie waren ohne Erwartungen in den letzten Winter gegangen. Bei der WM in Cortina haben Sie in vier Rennen vier Medaillen geholt.
So ist das mit den Erwartungen: Du kannst immer auf mehr hoffen, aber du kannst dich nicht auf deine Vergangenheit allein verlassen. Ich wusste nicht, ob ich jemals wieder ein Rennen gewinnen würde, dann musste ich den Saisonstart in Sölden wegen Rückenproblemen auslassen. Und dann wurde es doch eine spektakuläre Saison. Ich habe immer noch Tage, an denen ich kämpfen muss. Aber es gibt immer mehr Momente voller Motivation und Freude.
Was auch an Aleksander Aamodt Kilde liegt. Haben Sie ihm eigentlich schon Gitarrenstunden gegeben?
Er kann ein Lied der Band Green Day spielen, aber nicht viel mehr (lacht). Ich habe ihm sogar meine kleine Gitarre gegeben, die ich sonst immer auf Reisen dabei habe. Aber er kommt nicht oft zum Üben, das Training geht vor.
Er hat eine Wohnung in Innsbruck. Wäre das auch für Sie eine Möglichkeit, sich ein fixes Winterquartier in Mitteleuropa zuzulegen?
Ich habe darüber nachgedacht. Aber ich finde es besser, wenn ich nicht so gebunden bin. So kann ich in der Nähe der Rennorte trainieren und dorthin gehen, wo die Bedingungen am besten sind. Außerdem haben wir einige Hotels, wo wir mittlerweile fast schon zur Familie gehören. Dort können wir Wäsche waschen, sie tun so viel für uns. Es ist unglaublich – wie ein zweites Zuhause.
Ist das Reisen ein Fluch im alpinen Skizirkus?
Ich reise gern, aber es ist frustrierend, wie wir reisen. Wir lernen die Orte nicht kennen, es ist nur Training, Rennen, Hotel. Ich würde lieber einmal abends um zehn in das nette Restaurant gehen, das uns die Einheimischen so empfohlen haben. Eines Tages wird es so weit sein.
Katharina Liensberger hat Sie als Slalom-Weltmeisterin abgelöst – nach acht Jahren im Amt. Wo hat sie Vorteile?
Sie war die Stabilste über die Saison gesehen. Sie hat eine richtig gute Balance, sie ist schnell und scheut sich nicht, ans Limit zu gehen. Und: Sie macht nie einen Fehler, der sie Tempo kostet – das perfekte Paket.
Während Sie ja vor allem am Start – sagen wir – noch Potenzial für mehr haben. Oh, am Anfang meiner Karriere war ich noch viel verschlafener (lacht). Aber es stimmt schon. Und ich arbeite ja auch daran. Ich will halt erst meinen Rhythmus finden, und das kann ich nur schwer beim ersten Schwung. Aber ich schaue mir natürlich die anderen an.
Alles bereit für den Saisonstart in Sölden in zwei Wochen also?
Ich fühle mich nicht bereit für Sölden, aber das geht wohl allen so. Ich spüre die Anspannung steigen.