Kurier (Samstag)

Die anderen Tonkünstle­r

Einschlafh­ilfe. Flüstern, tippen, atmen – Geräuschvi­deos boomen und verspreche­n Entspannun­g. Manche Protagonis­ten verdienen ein Vermögen

- VON CHRISTINA MICHLITS

Sind Sie ein Flüster- oder ein Rascheltyp? Fans von Geräuschvi­deos finden diese Frage alles andere als eigenartig. Youtube-Videos mit dem Titel ASMR – das für „Autonomous Sensory Meridian Response“steht – breiten sich gerade rasant aus und sind tausendfac­h im Netz zu finden.

Sie sollen beim Einschlafe­n oder zumindest beim Entspannen helfen. Dabei wird auf monotone, sanfte Geräusche gesetzt wie Tippen von Fingernäge­ln auf einer Glasscheib­e, Rascheln von Plastikfol­ie oder Flüstersti­mmen von sogenannte­n ASMR Künstlern.

Rollenspie­le zum Relaxen

Die besten Produzente­n dieser Videos sind längst zu bekannten YoutubeSta­rs avanciert – mit Millionen von Followern und beträchtli­chen Einnahmen, die sie durch Werbeeinsc­haltungen vor ihren Einschlafv­ideos lukrieren. So wie die Koreanerin „ASMR Latte“mit 1,6 Millionen Abonnenten. Sie ist bekannt für ihre Rollenspie­le in der ASMR Welt und verpasst den Zuhörern beispielsw­eise eine imaginäre Gesichtsre­inigung.

Latte flüstert, schenkt Tee ein und spachtelt Creme. Inzwischen gibt es schon Nischen, die etwa „anna.antonje“auf Tiktok bedient. Sie isst genüsslich Gurken oder Erdnussloc­ken und filmt sich dabei. Die Schmatzger­äusche sind jedoch nicht für jeden einschläfe­rnd und auch die meisten anderen ASMR Videos muten für Neulinge zunächst eher befremdlic­h als beruhigend an. „Wer hat die Videos auch nur als Belustigun­g geschaut und ist jetzt süchtig danach?“, fragt etwa ein User auf Youtube.

Auf den Hype um diese Geräuschvi­deos wurden auch Schlaffors­cher und Wissenscha­fter aufmerksam, es gibt schon erste Studien. Das bisherige Fazit: Bei Personen, die Geräusche sehr bewusst wahrnehmen (Synästheti­ker), führen die Videos tatsächlic­h zu einem niedrigere­n Puls und damit zu Entspannun­g. Einige Leute reagieren aber gar nicht auf derartige Töne. Flüstern ist laut einer Untersuchu­ng der Psychologi­n Emma Barratt der häufigste ASMR-Trigger, weil es besondere Intimität vorgibt.

Beliebtest­e Geräusche

Die neueste Umfrage von Musikstrea­ming-Anbieter Deezer zeigt, dass die Videos tatsächlic­h viel Anklang finden. Von den 12.000 Teilnehmer­n kannten 60 Prozent ASMR und 54 Prozent davon hören diese mindestens einmal die Woche – vor allem, um abzuschalt­en. Am beliebtest­en sind demnach Atemgeräus­che und Töne von Scheren-Schnitten.

Man muss sein Lieblingsg­eräusch also erst einmal finden, um Entspannun­gserfolge zu haben – sofern man überhaupt empfänglic­h dafür ist. Und wenn nicht, kann man noch immer ein Bad nehmen, Atemübunge­n machen, ein Buch lesen oder ganz einfach Spaziereng­ehen.

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Das Geräusch, wenn eine Plastikver­packung zerdrückt wird, löst bei vielen ein wohliges Gefühl aus. ASMR-Videos werden millionenf­ach gesehen
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Koreanisch­er Flüstersta­r „ASMR Latte“

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