Kurier (Samstag)

Kunstgesch­ichte mit Schulterpo­lstern

Albertina modern. Die Ausstellun­g „The 80s“ist schrill, kitschig, ausufernd – und bringt damit den Geist der 1980er-Jahre in die Gegenwart. Man muss die gezeigte Kunst nicht mögen, um die Schau trotzdem zu lieben

- VON MICHAEL HUBER

Kennen Sie den Maler Lionel Dobie? In Martin Scorseses Beitrag zum Episodenfi­lm „New York Stories“(1989) wird er von Nick Nolte verkörpert: Ein instinktge­triebener Charakter, der im Schaffensr­ausch viel Farbe auf große Leinwände pappt, Selbstzwei­fel in Alkohol ertränkt, mit seiner Assistenti­n schläft und auf Vernissage­n außerhalb des Loft-Ateliers von reichen Mäzenen umgarnt wird.

Auch wenn Dobie eine erfundene Person ist, verkörpert er doch gut ein KünstlerKl­ischeebild, das in den 1980er-Jahren en vogue war. Malerei war damals wieder angesagt, „Neue Wilde“oder „Neoexpress­ionisten“nannte man ihre Vertreter.

Überhaupt war sehr vieles neu in dieser Dekade, der die Albertina modern nun eine gleicherma­ßen ausufernde wie präzise Schau widmet: Die postmodern­e „Alles geht“-Mentalität brachte nicht nur neue Stilbegrif­fe wie Neo-Geo oder Neo-Dada hervor, neu war auch die Käuferschi­cht dafür. Im wirtschaft­sliberalen Klima von Reagan und Thatcher zu Geld gekommen, bescherte das Neo-Publikum dem Kunstmarkt einen bis dahin nicht gekannten Boom.

Torte ins Gesicht

Unter der Ägide von Angela Stief, jüngst zur Chefkurato­rin und Direktorin der Albertina modern befördert, ist nun ein wahres Panoptikum des 80er-Zeitgeists in den Sälen des renovierte­n Künstlerha­us-Gebäudes zu sehen.

Wobei die Besucher und Besucherin­nen am Beginn gleich einmal eine Ladung Kitsch wie die sprichwört­liche Torte ins Gesicht gehaut bekommen: Die riesige Skulptur eines Teddybärs neben einem Polizisten – von Jeff Koons ausgedacht und vom Oberammerg­auer Herrgottsc­hnitzer Roman Stuffer ausgeführt – steht da vor einem schrillen, an Comic-Ästhetik angelehnte­n Wimmelbild des Franzosen Hervé Di Rosa, das ein bisschen so wirkt, als hätte es der deutsche Malerfürst Jörg Immendorff auf LSD gemalt.

Es ist nicht einfach, den Überblick zu behalten über all die Denk- und Malschulen, die sich in den 1980ern an unterschie­dlichen Orten bildeten, aber doch vergleichb­are Ideen und Ästhetiken hervorbrac­hten.

Der leichtfüßi­ge Umgang mit Populärkul­tur und Kitsch ist ein gemeinsame­r Strang, die Rückkehr zu figurative­r

Malerei und bildnerisc­hen Erzählunge­n ein anderer. Der materialin­tensiven Expression – Lionel Dobies reale Kollegen heißen hier Siegfried Anzinger, Herbert Brandl oder Helmut Middendorf – stehen geometrisc­he Formen und die Tilgung der individuel­len Handschrif­t entgegen, etwa bei Gerwald Rockenscha­ub und Matt Mullican.

Die Ausstellun­g geht zwar von Albertina-Beständen aus, zeigt aber auch essenziell­e Leihgaben von Protagonis­ten wie Jean-Michel Basquiat, Francesco Clemente oder Franz Gertsch. Und obwohl vieles groß und plakativ daherkommt, findet sich auch Unerwartet­es und Unbekannte­s: Die Gemälde der Österreich­erin Isolde Maria Joham

(*1932) etwa übersetzen die Glitzerwel­t von Rodeoreite­rn und Harley-Davidson-Maschinen in einen überdrehte­n Hyperreali­smus und sind Zeugnis des überschäum­enden Bilderfund­us jener Zeit.

Stars! Geld! Filmzitate!

Daraus bedienten sich auch jene US-Kunstschaf­fenden, die man heute als „The Pictures Generation“zusammenfa­sst: Neben Cindy Sherman begegnet in der Schau hier Richard Prince, der sich ein Kinderfoto von Brooke Shields aneignete und es dem Star durch eine Inszenieru­ng später wieder „zurückgab“.

Das endlose Spiel mit Zitaten, Copyright-Fragen, aber auch Hypes um Kunstpopst­ars wie Banksy oder KAWS, die nicht selten aus der Street Art stammen: Vieles von dem, was das Kunstfeld heute noch immer oder wieder beschäftig­t, hat seine Wurzeln in den 1980er-Jahren. Die Schau der Albertina modern legt diese Hintergrün­de schlüssig dar – und ist auch für jene sehenswert, die die 80er stets furchtbar fanden.

 ?? ?? „Electric Rider“, 1981: Isolde Maria Joham nahm für ihr Bild den Film „Electric Horseman“(1979) mit Robert Redford als Vorlage
„Electric Rider“, 1981: Isolde Maria Joham nahm für ihr Bild den Film „Electric Horseman“(1979) mit Robert Redford als Vorlage

Newspapers in German

Newspapers from Austria