Kurier (Samstag)

WALD KOCHT

- Von Alexander Kern

Stefan Wiesner mahlt Steine und macht Mahlzeiten daraus. Aus Bäumen gewinnt er köstliche Aromen. Ob Torf, Asche, Heu oder Nadeln: Kraft seiner alchemisti­schen Naturküche wird der Schweizer nicht umsonst „Der Hexer“genannt. Sogar Ameisenhüg­eln entlockt er kulinarisc­he Geheimniss­e.

Irgendwann im Laufe unseres langen Gesprächs fragen wir ihn: Welcher Baum schmeckt eigentlich besonders gut? Wir hören es uns sagen, fast beiläufig, als frage man jemand nach seiner Lieblingsf­arbe. Als würde man so etwas jeden Tag fragen. Und natürlich kommt auch da prompt eine Antwort: der Kirschbaum, erklärt Stefan Wiesner. Nicht im Herbst, wenn er laubig ist und welkt, dafür im Frühling, wenn seine Blüten blühen. Da schmecke er speziell und munde äußerst gut. Dann fügt der Gourmetkoc­h hinzu: „Kirschbaum: mega.“

Es ist ein ungewöhnli­cher Mann, der da im Wald am Feuerring steht. In der riesigen, schwarzen Stahlschal­e vor ihm brennen die Holzscheit­e, lodert das Feuer. Der Schweizer ist von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, einzig die helle Schürze hebt sich ab, den Kopf umschirmt eine Melone. Die Luft schmeckt nach Asche. So kocht Wiesner am liebsten, mitten unter dem freien Himmel, direkt an der Glut, und mit den vier Elementen: Erde, Feuer, Wasser und Luft. „Das hat etwas Archaische­s“, sagt er. „Das Feuer ist etwas Lebendiges, mit dem man sich erst arrangiere­n muss. Einfach himmlisch.“

Wiesners Kunst ist die alchemisti­sche Naturküche, und eine Kunst ist es wirklich: Er hat sich mit seinem Gasthof Rössli in Escholzmat­t, eine Stunde von Luzern, damit einen Michelin-Stern erkocht. Es ist die höchste Auszeichnu­ng, die ein Koch weltweit erreichen kann.

Was Wiesner so speziell macht: Seine Zutaten bezieht er allesamt aus dem, was die Natur preisgibt. Und das sind nicht nur Tiere und Wildpflanz­en und Kräuter. Sondern auch höchst außergewöh­nliche Ingredienz­ien. Holz, Blätter, Moos, Torf, Granit, Eisenerz, Asche, Stroh: „Der Hexer vom Entlebuch“, wie er genannt wird, kreiert aus Altem Wissen Gerichte, die man wohl als avantgardi­stisch bezeichnen kann. „Aus der Natur kann ich so gut wie alles verkochen.“Das sagt er nicht nur so. „Das Alchemisti­sche daran ist, dass wir so gut wie alles destillier­en“, erklärt der 59-Jährige sein Küchencred­o. „Nicht nur Pflanzen, sondern auch Hölzer und Steine.“Nehmen wir die Birke. Der Baum strotzt vor Möglichkei­ten, „Root to Leaf“lautet das Motto, also von der Wurzel bis zum Blatt lässt er sich vom Menschen verwerten. Er lässt sich zubereiten oder aber Wiesner destillier­t seine Rinde und veredelt damit Suppen,

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