Alles ist möglich
Wollen Sie Neuwahlen? „Nein“, sagten fast alle Leserinnen und Leser, die sich im Festzelt zum KURIER-Tag eingefunden hatten. Nun haben es also die Grünen in der Hand, wie es mit dieser Regierung weitergeht. Aus ÖVP-Kalkül ist das gar nicht die allerschlechteste Variante. Denn ein Rücktritt von Sebastian
Kurz könnte als Schuldeingeständnis gewertet werden. Und die Verantwortung für Sprengen der Regierung und eventuelle Neuwahlen hätten dann die Grünen.
Diese haben sich festgelegt, nicht mehr mit Kurz weiterregieren zu wollen. Am Dienstag könnte er zum zweiten Mal mittels Misstrauensantrag gestürzt werden – und die ÖVP als Oppositionspartei übrig bleiben, vielleicht sogar als einzige. Grün, Rot und
Pink (die gemeinsam keine Mehrheit im Nationalrat haben) liebäugeln mit einer Minderheitsregierung unter einem roten Kanzler und wären sogar bereit, sich von der Impfskeptiker-Kickl-FPÖ unterstützen zu lassen. Eine regelrechte Duldung schließt Herbert Kickl aus – wenn, dann will er mitregieren. Weil das unwahrscheinlich ist, müsste sich dieses Kabinett wechselnde Mehrheiten suchen.
Als die FPÖ noch Koalitionspartner war, gab es allwöchentliche Skandalstorys über die Blauen, jetzt wurde alle Kraft auf die Demobilisierung von Kurz gelegt. Dafür war das Handy von Thomas Schmid ein „Geschenk“– samt aller Zufallsfunde. Präpotenz und Zynismus, die aus den Schmid-Chats herausfließen, werfen ein schlechtes Licht vor allem auf Schmid, aber auch auf das engste Umfeld von Kurz, der damals noch nicht Kanzler war. Ob das für ihn strafrechtlich relevant ist, wissen wir nicht.
Prinzipiell wäre es möglich, mit einem honorigen Schwarzen à la Wilfried Haslauer bis zur Klärung der Vorwürfe weiterzuregieren. (Dazu gibt auch in der ÖVP Befürworter.) Bei einer Justiz, die für solche Verfahren unendlich lange braucht, geht das aber wohl über diese Legislaturperiode hinaus. Klar ist: So lange Kurz im Rampenlicht steht, werden Vorwürfe und geleakte Chats nie mehr auf hören.
Endet die Koalition jetzt, wird die ÖVP dem Budget und damit auch grünen Herzensprojekten wie dem Klimaticket nicht mehr zustimmen, was die Grünen schmerzen wird. Ihre Hoffnung liegt jetzt wahrscheinlich auf einer linken Mehrheit (inklusive Neos) nach der Wahl. Sicher ist es nicht. Die FPÖ wird zulegen und die seltsame MFG mitmischen. Die ÖVP würde in einen MärtyrerWahlkampf mit Kurz gehen, könnte damit sogar wieder Erste werden, hat danach aber keinen potenziellen Koalitionspartner. Die SPÖ würde mit einem „frischen“Spitzenkandidaten in die Wahl ziehen, das könnte zum Beispiel der Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke sein. Ein Beamtenkabinett ist theoretisch möglich, führt aber auch in Neuwahlen.
Wir stehen wieder einmal vor rumpeligen Zeiten.
Am Dienstag wird Kurz wohl über einen Misstrauensantrag stürzen. Schon wieder stehen dem Land unruhige Zeiten bevor