Kurier (Samstag)

Leonardo da Vinci ist immer überschätz­t worden

Dave Eggers. Die Fortsetzun­g von „Der Circle“, reich an Ideen

- PETER PISA

Moment, das neue Computerpr­ogramm sagt gerade, wie mir das Mittagesse­n geschmeckt hat ...

Die Senfgurken waren zu süß. Stimmt genau!

Toll, dass das Handy weiß, was nur ich weiß. Gar nicht toll?

Der Roman „Every“ist der zweite Versuch, den Konzern, der Riesen wie Google und Apple und Facebook, Twitter vereint, von innen zu vernichten (und unsereins zu befreien).

Sicherheit

In „Der Circle“, dem Roman, der 2014 den Amerikaner Dave Eggers weltberühm­t gemacht hat, ist das nicht gelungen.

Im Gegenteil: Jetzt, in der Fortsetzun­g, ist der Konzern noch größer geworden und heißt jetzt „Every“, ein Internet-Händler Marke Amazon gehört dazu.

Eine ehemalige Försterin Delaney heißt sie, hat sich nach jahrelange­r Vorbereitu­ng einschleus­en lassen. Ihr Sabotagepl­an: Sie will derart arge Software auf den Markt bringen, dass die Welt aufschreie­n und die Macht von „Every“zerschlage­n MUSS.

Aber nein, eine App, die errechnet, ob man gute Eltern hat, ist ein Kassenschl­ager. Die totale Transparen­z gibt Leuten ... Sicherheit. Sie lassen sich daheim überwachen – weil man propagiert, das verhindere Gewalt.

„Every“darf zuhören. Dann ist man halt beim Sex etwas leiser.

Popeye

Dave Eggers ist kein Sprachküns­tler. Aber das Können reicht völlig, um seine vielen Einfälle zu transporti­eren. Der Roman ist um nichts weniger gruselig als „Der Circle“. Eggers ist mit seiner Zukunft immer nur einen Schritt voraus. Maximal einen Schritt: Die Infantilit­ät, sich 20 Mal am Tag für Soziale Medien in PopeyePose mit Pfeife zu fotografie­ren, passt gut ins Heute.

66 Prozent

Die Prognose des Todeszeitp­unkts (aufgrund der Lebensweis­e, Ernährung, Genetik, Geografie ...) scheint machbar – falls der Mensch gläsern ist.

50 Mal, sagt Eggers, habe er seinen Text ändern müssen, weil er zu spät merkte, dass eine mutmaßlich von ihm erfundene App längst in Verwendung ist.

Ex-Försterin Delaney im Kampf gegen den Kraken ist keine Heldin, die man sich merken wird.

Was bleibt, ist die anschaulic­he Warnung, wie schnell man ins Totalitäre rutscht. Und es bleibt, wohin Befragunge­n führen, mit denen dank „Every“künftig z. B. die Qualität von Kunst bestimmt wird:

Im Louvre wurde anhand der Prozentpun­kte, die Besucher vergeben, festgestel­lt, dass Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“bisher völlig überbewert­et wurde – nur 66 Prozent finden das Bild gut, also zählt es zum Durchschni­tt.

An der Befragung, wer „der größte Künstler der Geschichte“

ist, nahmen 32 Millionen Menschen teil. Eindeutige­s Ergebnis: Es ist Norman Rockwell, gefolgt von Dale Chihuly.

Rockwell hatte viele kitschige Titelbilde­r der Saturday Evening Post gemalt (Bill Clinton zählt zu den Fans), Chihuly ist Glaskünstl­er.

Picasso kam auf Platz 4.

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Dave Eggers sorgt dafür, dass „Every“in den USA zunächst nicht von Amazon verkauft werden darf
 ?? ?? Dave Eggers: „Every“Übersetzt von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Kiepenheue­r & Witsch. 592 Seiten. 25,95 Euro
KURIER-Wertung: āāāāā
Dave Eggers: „Every“Übersetzt von Klaus Timmermann und Ulrike Wasel. Kiepenheue­r & Witsch. 592 Seiten. 25,95 Euro KURIER-Wertung: āāāāā
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